Wurzeln
verspürte, an den Fluß zu gehen, blieb Kunta eine Weile reglos am Ufer. Heute beobachtete er einen grauen Reiher, der knapp über dem blaßgrünen Wasser dahinsegelte, die dünnen langen Beine schleifen ließ und mit jedem Schlag der großen Schwingen das Wasser in Bewegung versetzte. Der Reiher suchte zwar nach kleiner Jagdbeute, er wußte aber, daß es auf dieser Strecke des Flusses einen großen, kujalo genannten Fisch gab, den auch Kunta sehr schätzte, der ihn sich von Binta mit Zwiebeln und bitteren Tomaten auf Reis zubereiten ließ. Bei diesem Gedanken lief ihm das Wasser im Munde zusammen.
Etwas stromab schlug Kunta einen vom Wasser wegführenden Pfad ein, den er selber getrampelt hatte und der an einer uralten Mangrove endete, die ihn, so dachte Kunta oft, jetzt gewiß ebensogut kannte wie er sie. Er zog sich auf den untersten Ast und stieg dann bis ganz nach oben auf seinen Lieblingsplatz. Von hier sah er bis zur nächsten Biegung des Flusses, dessen Oberfläche wie mit einem Teppichmuster von schlafenden Wasservögeln überzogen war, dahinter die Reisfelder der Frauen mit den hier und dort aus Bambus errichteten kleinen Schutzhütten für mitgenommene Säuglinge. In welche hatte wohl seine Mutter ihn gelegt, als er klein war? In den frühen Morgenstunden erfüllte der Anblick dieses Ortes Kunta mit Frieden und Ehrfurcht. Hier empfand er sogar stärker als in der Moschee, daß alles und alle in Allahs Händen sind und ihm wurde deutlich, daß alles, was er von hier oben erblickte, was er roch und hörte, länger hier gewesen war, als das Gedächtnis der Menschen zurückreichte, und noch hier sein würde, wenn er, seine Söhne und Enkel längst dahingegangen sein würden.
Kunta entfernte sich mit langen Schritten vom Fluß und schlug die Richtung zu einer von hohem Gras bewachsenen Lichtung und jenem Hain ein, dessen Bäume, wie Kunta glaubte, das für die Trommel geeignete Holz hergeben würden. Wenn er das Holz jetzt zum Trocknen auslegte, würde er in etwa anderthalb Monden damit anfangen können, es. zu bearbeiten, also nach seiner und Lamins Heimkehr von der Reise nach Mali. Als Kunta sich den Bäumen näherte, nahm er aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr – ein Hase, und schon war der Hund hinter ihm her, der im hohen Gras Deckung suchte. Der Hund machte spaßeshalber Jagd auf diesen Hasen, denn er kläffte ganz wild, und Kunta wußte: ein wuolo , der aus Hunger jagt, macht kein Geräusch. Bald war von den beiden Tieren nichts mehr zu hören, doch wußte Kunta, der Hund würde zurückkommen, sobald er die Lust an der Verfolgung verloren hatte.
Nun drängte sich Kunta tiefer zwischen die Bäume und sah sich nach einem passenden Stamm um. Er empfand den weichen bemoosten Boden, auf dem er jetzt ging, als angenehm. Doch die Luft war hier diesig und kühl, denn noch stand die Sonne nicht hoch genug, um durch das dichte Laub dringen zu können. Kunta lehnte Speer und Bogen an einen verkrüppelten Baum und wanderte suchend von Stamm zu Stamm, blieb einmal hier stehen und einmal dort, legte prüfend die Hand auf Holz, nahm Maß, stellte sich vor, wie stark das Holz noch schrumpfen würde, wenn es trocknete.
Als er sich hinhockte, um wieder einen Stamm auf seine Brauchbarkeit zu prüfen, hörte er einen Zweig knacken, und über ihm flog schimpfend ein Papagei auf. Da kam wohl der Hund endlich zurück? Aber ein erwachsener Hund tritt nicht auf Zweige, daß sie knacken! Kunta blickte argwöhnisch um sich; da sah er bereits ein bleiches Gesicht auf sich zukommen, sah einen erhobenen Knüppel und hörte schwere Schritte hinter sich: toubob ! Er trat den bleichen Menschen in den schwammigen Leib, er hörte ihn ächzen, doch streifte in diesem Moment etwas seinen Kopf und traf den Stamm, an dem er stand. Kunta fuhr vor Schmerz zusammen, er drehte sich blitzschnell und kehrte dabei dem, der sich von seinem Tritt am Boden krümmte, den Rücken. Er ging auf zwei schwarze Männer los, die ihm einen großen Sack überwerfen wollten. Ein zweiter toubob holte indessen mit dem Knüppel aus, traf Kunta aber nicht, denn der wich diesmal dem Schlag aus.
Kunta hatte keine Waffe bei sich und stürzte sich mit Fäusten auf seine Gegner, er trat und kratzte und biß und fühlte kaum den Knüppel, der ihn mehrfach auf den Schultern traf. Nun gingen drei der Schwarzen zu Boden und rissen Kunta mit, den dabei ein Knie in die Nieren traf, daß er vor Schmerz nach Luft rang. Er biß fest in einen Arm, er stieß seine Finger
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