Wut
schlafenden Frau gestanden. Dann wandte er sich ab, schlief im Gästezimmer, packte am anderen Morgen die Koffer und nahm die erste Maschine nach New York, ohne einen Grund dafür anzugeben. Was geschehen war, entbehrte jeglicher Logik. Er mußte einen Ozean, mindestens einen Ozean zwischen sich und das bringen, was er beinah getan hätte. Also war Miss Mila, die Kaiserin der West Seventieth Street, näher an die Wahrheit herangekommen, als sie wußte. Als sie jemals erfahren durfte.
Im Kino stand er, in sich selbst vertieft, in der Warteschlange. Dann ertönte unmittelbar hinter seinem rechten Ohr, unanständig laut, die Stimme eines jungen Mannes, der, ohne Rücksicht darauf, wer mithören konnte, seinem Begleiter und somit der ganzen Schlange und der Stadt seine Geschichte erzählte. In der Metropole leben bedeutete die Erkenntnis, daß das Außergewöhnliche genauso gewöhnlich wie Diätlimo, daß die Anomalität Popcorn-Norm war: »Also hab ich sie schließlich angerufen, und ich, so etwa, hi, Mom, waslos, und sie dann, willste wissen, wer hier, genau hier in diesem Kaff, heut abend ißt, wer hier, genau hier den Falschen Hasen deiner Mutter ißt? Der Nikolaus, der ißt bei mir. Der Nikolaus sitzt genau da, oben am Tisch, wo dein Vater, das Stinktier, seinen verkackten Affenarsch immer hingepflanzt hat. Das schwöre ich bei Gott. Ich meine, es ist drei Uhr nachmittags, und die Alte ist schon hinüber. Das hat sie gesagt, Wort für beschissenes Wort. Der Nikolaus. Und ich also, klar, Mom, und wo sitzt Jesus? Und sie dann wieder, das ist immer noch Mister Jesus Christus für dich, junger Mann, und ich sage dir, daß Mister Jesus H. Christ sich über den Fisch hermacht. Also, das war mehr, als ich verkraften konnte, also ich, Ciao, Mom, grüß die Herren von mir, und ein frohes.« Und neben der männlichen Stimme ertönte das harte, gräßliche Lachen einer Frau. HA-ha-ha-HA.
An diesem Punkt hätten sich in einem Woody-Allen-Film (ein Teil von Ehemänner und Ehefrauen war tatsächlich in Solankas Untermietwohnung gedreht worden) die Zuschauer ins Gespräch gemischt, Partei ergriffen, persönliche Histörchen erzählt, um mit der, die sie gerade gehört hatten, zu konkurrieren oder sie sogar zu übertrumpfen und Beispiele für die Monologe der zornigen, verrückten Mutter beim späten Bergman, bei Ozu und Sirk zu suchen. In einem Woody-Allen-Film wären jetzt Noam Chomsky, Marshall McLuhan oder heutzutage wohl Gurumayi oder Deepak Chopra hinter einer Topfpalme hervorgekommen, um mit ein paar Worten einen salbungsvollen, geschliffenen Kommentar abzugeben. Die Misere der Mutter wäre kurz das Thema einer verzweifelten Woody-Überlegung gewesen - war sie den ganzen Tag geistesgestört, oder nur zu den Mahlzeiten? Welche Medikamente bekam sie, und waren die Nebenwirkungen auch richtig auf dem Fläschchen angegeben? Was bedeutete es, daß sie eventuell vorhatte, mit nicht nur einer, sondern gleich zwei großen Ikonen herumzuspielen? Was würde Freud zu diesem außergewöhnlichen Sextrio sagen? Was sagte das gleichermaßen große Bedürfnis dieser Frau nach geschenkverpackten Besitztümern und der Rettung ihrer unsterblichen Seele über sie aus? Was sagte es über Amerika aus?
Außerdem, wenn da richtige Männer bei ihr im Zimmer saßen, wer waren sie? Etwa Killer auf der Flucht, die sich in der Küche dieser armen, bourbondurchtränkten Lady versteckten? War sie tatsächlich in Gefahr? Andererseits sollten wir als tolerante Denker nicht auch wenigstens theoretisch die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß ein echtes doppeltes Wunder geschehen war? Und wenn, was für Weihnachtsgeschenke würde sich Jesus vom Nikolaus wünschen? Und, okay, der Sohn Gottes hatte sich auf den Thunfisch gestürzt, aber würde der Falsche Hase für alle reichen?
All diesem hätte Mariel Hemingway sofort, aber gleichmütig Aufmerksamkeit geschenkt; um es dann ebenso schnell wieder zu vergessen. In einem Woody-Allen-Film wäre die Szene in Schwarzweiß gedreht worden, diesem unrealistischsten aller Verfahren, das zum Symbol für Realismus, Integrität und Kunst geworden war. Aber die Welt besitzt Farbe und ein besseres Drehbuch als die Filme. Malik Solanka wandte sich kurz entschlossen ab, öffnete den Mund, um zu protestieren, und stand vor Mila und ihrem Quarterback-Centurion von Boyfriend. Indem er an sie dachte, hatte er die beiden heraufbeschworen. Und hinter ihnen stand - lehnte, hockte, kauerte, posierte - der Rest der indolenten
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