Wyrm. Secret Evolution
nötig war. »Bei mir war immer alles in Ordnung. Meine Eltern haben gut für mich gesorgt!«
Alinas Gesichtszüge verhärteten sich. »Dann hattest du Glück mit den Menschen, die dich angenommen haben. Ich bekam Dreck statt einer Familie!«
Die Worte trafen David wie Schläge. »Das tut mir leid.« Er spürte Alinas Schmerz und Wut und die Last des Leids, das ihr Auslöser war.
»Die Welt da über uns«, sagte Alina, »ist nicht die meine. Das habe ich schon immer gewusst. Hast du das denn nicht auch gespürt?«
David nickte. Doch, genau das hatte er tatsächlich auch immer gespürt. Eigentlich war er von allen abgelehnt und verspottet worden, nur nicht von seinen Eltern und seiner kleinen Sprayer-Gang. Aber was, wenn seine Adoptivfamilie nicht gewesen wären und er später nicht erst Nico und dann die zwei durchgeknallten Mädchen kennengelernt hätte? Wäre er dann jetzt auch so verbittert wie dieses Mädchen, das tiefer in seine Seele blicken konnte als je ein Mensch zuvor?
»Wir beide sind nur Wartende«, drang ihre Stimme in ihn. »Wartende, denen man erst Aufmerksamkeit schenkt, wenn der richtige Moment gekommen ist.«
»Der richtige Moment?«, fragte er von schlimmer Vorahnung geplagt. »Was soll das heiÃen?«
Alina starrte mit leerem Blick in die Ferne, und David spürte voller Bangigkeit die Veränderung, die sie ergriff. Er konnte dem Schmerz nicht ausweichen, der in ihr explodierte und alles mit sich fortriss, nicht ihrer Unfähigkeit, auch nur noch eine Sekunde länger das Leid zu ertragen, das man ihr angetan hatte.
»Es hat schon einmal nach mir gegriffen.« Die Worte drangen zäh wie Sirup über ihre Lippen. »Aber ich habe das kleine Würmchen wegmachen lassen.« Ihr Gesicht verzerrte sich voller Schmerz, und ihre Stimme wurde schriller. David spürte die Wucht ihrer Worte und ihrer Trauer, und alles in ihm verspannte sich.
Das Würmchen wegmachen lassen? Was bedeutete das?
Alina stieà die Luft aus, und sie wirkte in diesem Moment, als stürze sie kopfüber in den Schlund ihrer Verzweiflung. »Und jetzt kommt er, um uns alles zu nehmen, was uns wichtig ist.«
Der Satz stand da in all seiner Schrecklichkeit, aber seine Bedeutung tröpfelte nur ganz langsam in David ein.
»Welch Glück für meine Stiefmutter und meine bekloppten Geschwister«, flüsterte Alina, »dass ich sie nicht leiden kann.«
David spürte, wie es ihm eiskalt den Rücken herunterlief, als er zu begreifen glaubte ⦠Und er verstand: Es gab nichts, was ihm wirklich wichtig war, bis auf seine Eltern und seine Freunde. »Wie meinst du das?«, fragte er mit hoher, zitternder Stimme. »Wer will mir nehmen, was mir wichtig ist?«
»Das«, flüsterte Alina, »willst du gar nicht wissen, glaube mir. Aber leider«, ihre Stimme wurde noch leiser, »hast du gar keine andere Wahl. Es hat dich hierhin gelockt. Und auch deine Freunde.«
Das Entsetzen griff jetzt wie eine eiskalte Hand nach David. »Meine Freunde? Nico â¦Â«
»Maya und Jana auch, ja.« Alina schüttelte den Kopf. »Maya ist ja total durchgeknallt, wenn du mich fragst. Aber im Grunde schwer okay.«
»Du kennst sie?« David hatte das Gefühl, als würden seine Beine aus Wackelpudding bestehen. »Wo sind sie?«
»Irgendwo«, Alina deutete nach oben ins Ungefähre, »dort über uns.« Sie drehte sich einmal um ihre eigene Achse und starrte dabei hoch in das Halbdunkel, in zerrissene Gesteinsformationen, gesprungene Betonwände, wo Stahlträger ins Leere stieÃen, in ein so verwirrendes Durcheinander von natürlichen Formationen und unterschiedlichsten Baustilen, dass David ganz schwindlig wurde. »Oder war es doch nicht da oben gewesen?«
David übermannte die Panik. »Ich muss da hoch«, sagte er. Seine Augen suchten nach einem Aufstieg, nach irgendetwas, an dem er sich hochhangeln konnte, wo seine FüÃe Halt finden, sich seine Finger einkrallen konnten. Er sah dicke gewundene Pfeiler, auf denen ein Teil der Höhle wie auf Rippenbögen ruhte. Es musste möglich sein, dort hochzuklettern â¦
»Du kannst der Höhle nicht entfliehen«, sagte Alina â in ihrer Stimme war plötzlich ein Krächzen, dann begannen ihre Hände unkontrolliert zu zittern, und er begriff, dass sie genau das gleiche Entsetzen spürte
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