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Xeelee 1: Das Floss

Xeelee 1: Das Floss

Titel: Xeelee 1: Das Floss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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realisierte er, daß die stete Musik in seinem Kopf die gleiche Struktur, den gleichen zwingenden Rhythmus und die gleiche zyklische Melodie aufwies wie der Gesang der Boneys. Es mußte von außen kommen – ob auf akustischem oder telepathischem Weg, hätte er nicht sagen können. So hatten die Boneys, vielleicht durch Zufall, einen Weg gefunden, wie sie den Walen suggerieren konnten, daß sie schwammen; nicht, um durch die Hände winziger, bösartiger Menschen zu sterben, sondern…
    Was? Wohin glaubten diese jetzt zum Kern schwimmenden Wale zu gehen, und warum freuten sie sich so darüber?
    Es gab nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.
    Die Vorstellung, seinen Verstand wieder dieser Tortur zu unterziehen, ließ ihn fast verzagen; doch er klammerte beide Hände fest um die Knorpel, schloß die Augen und versuchte, sich auf die bizarren Bilder zu freuen.
    Wieder erschienen die Wale in der Luft. Er versuchte die Szene so zu betrachten, als ob sie eine Fotografie wäre. Waren diese Dinger wirklich Wale? Ja; aber irgendwie war ihr Rumpf drastisch geschrumpft, so daß sie jetzt bleistiftförmige Raketen waren, die mit minimalem Luftwiderstand einem unbestimmten Ziel entgegenrasten. Welchem? So sehr Rees sich auch anstrengte und noch dazu mit dem Handrücken gegen die Augen drückte, es kam nichts. Wo immer das Ziel auch sein mochte, ›sein‹ Wal verspürte nichts als Freude bei dem Gedanken daran.
    Wenn er das Ziel schon nicht sehen konnte, wie war es dann mit dem Ausgangspunkt? Konzentriert senkte er den Kopf. Das Bild in seinem Geist wurde mitgeführt, als ob er mit einem Teleskop den Himmel absuchen würde.
    Und dann sah er den Punkt, von dem aus die Wale ihre Reise angetreten hatten. Es war der Kern.
    Er öffnete die Augen. Die Tiere stürzten also nicht in den Tod, sondern nutzten den Kern irgendwie als Gravitations-Katapult, das sie aus – und nun kam ihm die Erleuchtung – aus dem Nebel selbst hinausschleuderte.
    Die Wale wußten, daß der Nebel nicht mehr lange existieren würde. Und auf diese phantastische Art wanderten sie also. Sie würden den Nebel aufgeben und durch das All kreuzen, bis sie eine neue Heimat gefunden hatten. Vielleicht hatten sie das schon dutzend- oder hundertmal getan; vielleicht hatten sie auf diese Art die Nebel schon seit Hunderten oder Tausenden von Schichten durchstreift…
    Und was die Wale konnten, konnten Menschen sicher auch. Eine große Woge der Hoffnung riß Rees mit sich, und er fühlte sein Blut pulsieren.
    Der Kern war mittlerweile sehr nahe gerückt. Licht wie aus der Hölle stach durch die Trümmerhülle und erhellte die Bruchstücke. Die Wale vor ihm atmeten große Dampfwolken durch ihre Mäuler aus, und ihre Körper zogen sich zusammen wie Ballons, aus denen langsam die Luft entwich.
    Rees’ Wal verlangsamte seine Drehung. Bald würde er in den tiefen Wirbel zum Gravitationszentrum des Kerns einfliegen… und das würde Rees sicher nicht überleben. So schnell wie er entstanden war, platzte sein Hoffnungsschimmer wieder und fegte die letzten Reste seiner unbegründeten Zufriedenheit hinweg. Er hatte vielleicht noch ein paar Minuten zu leben und würde den Schlüssel zum Überleben seiner Rasse mit sich nehmen.
    Ein verzweifeltes Heulen entrang sich seiner Kehle, und seine Hände krampften sich um die Knorpel des Kopfes.
    Ein Zittern durchlief den Wal.
    Ungläubig starrte Rees auf seine Hände. Bis jetzt hatte der Wal von seiner Anwesenheit nicht mehr Notiz genommen als von einem einzelnen mikrobenartigen Parasiten. Doch wenn seine körperlichen Aktivitäten den Wal schon nicht aus der Ruhe gebracht hatten, hatte vielleicht die Woge seiner Verzweiflung dieses einige Meter entfernte, große und langsame Hirn zum Ansprechen gebracht…
    Und vielleicht gab es doch einen Ausweg.
    Er schloß die Augen und rief sich Gesichter in Erinnerung. Hollerbach, Jaen, Pallis, wie er seinen Wald pflegte. Rees ließ sich von der Qual wegen ihres bevorstehenden Todes und seiner Sehnsucht, zurückzukehren und diese Leute zu retten, überwältigen und bündelte diese Emotionen in einem einzigen massiven Punkt des Schmerzes. Er zerrte am Kopf des Wals, als ob er mit brutaler Gewalt das Tier von seinem Kurs auf den Kern abbringen konnte.
    Dann simulierte Rees eine grenzenlose Traurigkeit und flehte, daß diese menschliche Infektion den Wal verließe, damit er sich mit seiner Herde in Sicherheit bringen konnte. Rees glaubte schier in Trauer zu versinken. Er konzentrierte sich auf ein

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