Xeelee 2: Das Geflecht der Unendlichkeit
irgendwie verhindert werden, daß die Singularität den Mond verschlingt.«
»Genau. Dann gibt es noch Gravitationswellen, die durch die Kollision von Schwarzen Löchern entstehen. Damit ließen sich beispielsweise Traktorstrahlen erzeugen.« Poole lehnte sich in seiner Couch zurück und schloß die Augen. »Wenn auch diese Optionen dann ausgereizt sind, wird man vielleicht noch Verwendung für nackte Singularitäten haben.«
»Und was ist eine nackte Singularität?«
»… Das finden wir vielleicht noch heraus.«
Jetzt tauchten sie in einen Raumsektor ein, der mit Schiffen angefüllt war; Hunderte von ihnen flitzten über den geduldigen Ozean des Jupiter. Die Raumer standen zu weit ab, als daß man irgendwelche Details hätte ausmachen können, aber Poole wußte, daß es Flotteneinheiten von den bewohnten Jupitermonden sein mußten, Expeditionsschiffe aus dem inneren Sonnensystem sowie Touristen und Gaffer von überallher. Gesprächsfetzen aus dem Hintergrund der Lebenskuppel sagten ihm, daß gleich Signale von dieser zusammengewürfelten Armada bei ihm eingehen würden – Poole wußte, daß sich die Aufmerksamkeit des Großteils der menschlichen Rasse seit dem Erhalt von Bergs Nachricht vor einem Jahr auf den Jupiter-Sektor konzentrierte, und sein eigenes Auftauchen hier war das mit der größten Spannung erwartete Ereignis seit dem Auftauchen des Schiffes aus der Zukunft selbst gewesen.
Er ignorierte die Sendungen und ließ sie von virtuellen Ablegern seiner Person bearbeiten; wenn es etwas wirklich Wichtiges gab, würde man es ihm schon melden.
Als er nach den Jahrzehnten der Isolation in den düsteren Randgebieten des Sonnensystems in den überfüllten Weltraum über sich blickte, verspürte Poole plötzlich einen Anfall absurder Klaustrophobie. Er wurde zum einen von Neugier motiviert, zum anderen von einer rudimentären Besorgnis um Miriam Berg und ihre Crew; aber nun, da seine ein Jahr dauernde Reise von der Oort-Wolke hierher beendet war, merkte er, daß er eigentlich überhaupt nicht mehr hier sein wollte, zurück in der stinkenden Welt der Menschheit.
Harry beobachtete ihn mit hochgezogener jugendlicher Augenbraue.
»Entspanne dich, Sohn«, empfahl er ihm. »Es war immer klar, daß es nicht einfach sein würde.«
»Oh, halt um Gottes willen den Mund«, erwiderte Poole heftig. Sogar während er sprach, spürte er das merkwürdige Gefühl der Erleichterung, jemanden beziehungsweise etwas zu haben, das sich so weit außerhalb seines Kopfes befand, daß er darauf reagieren konnte. »Ich sollte dich in eine elektronische Flasche mit dem Etikett ›Dad‹ stecken und dich immer dann hervorholen, wenn ich den Eindruck habe, mal wieder väterliche Bevormundung zu benötigen.«
Harry Poole grinste unbeeindruckt. »Ich tue nur meinen Job«, murmelte er.
Jetzt näherte sich die Crab dem dichtesten Schiffspulk im Raum, wobei ihre Triebwerke noch immer in Flugrichtung feuerten. Als ob sie die Annäherung der Crab gespürt hätten, löste sich der Verband der Schiffe auf.
Innerhalb dieses leuchtenden Nebels konnte Michael die Konturen eines großen Objektes ausmachen, ein grüner Fleck, der sich gegen das schmutzige Rosa von Jupiter abhob.
»Das ist es«, sagte Poole mit rauher Stimme. »Das Schiff aus der Zukunft. Zeit, an die Arbeit zu gehen…« Er blaffte einen Befehl in die Luft.
Das belebte Universum außerhalb der Lebenskuppel wurde plötzlich von einem Schauer aus Bildpunkten vernebelt, die wie Staubkörner um die Crab tanzten und sich langsam zu Ebenen, Kreisen und Geraden um die Lebenskuppel herum verdichteten. Harry verkrampfte sich mit offenem Mund in seinem Sessel, als er sah, wie sich die riesige Projektion um das Schiff herum manifestierte. Schließlich sahen sie mit wenigstens hundert Meter großen Augen nach draußen, mit Augenlidern, die wie Regenfronten über die glitzernden Linsen wischten. Eine Nase, so groß wie eine technische Konstruktion und mit Nüstern wie Raketendüsen, verdeckte den Blick auf das GUT-Triebwerksmodul der Crab; und große ausgeformte Ohren segelten neben der Lebenskuppel her.
Ein feuchter Mund, dessen Dimensionen dem eines Wals in nichts nachstanden, klappte auf.
»Mein Gott«, keuchte Harry. »Das bist du, stimmt’s? Wir sehen durch dein Gesicht.«
»Das war für mich die einzige Möglichkeit sicherzugehen, daß wir auch korrekt identifiziert würden. Keine Sorge: Die Projektion ist nur Show; sie ist nicht einmal so lebendig wie du. Sie spult nur eine
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