Xeelee 3: Ring
einsetzt – und zwar in einer Schale außerhalb des Kerns, aber noch innerhalb der Wasserstoffusions-Hülle. Und die Heliumfusion wird Kohlenstoff-Asche auf dem Kern ablagern, wodurch seine Masse und Temperatur zunehmen – bis die Fusion von Kohlenstoff beginnt…
Der Zyklus wiederholt sich, Uvarov. Es wird Kohlenstoffblitze geben – und, später, Sauerstoff- und Siliziumblitze… Zuletzt wird der Riese einen Kern aus fast reinem Eisen haben, mit einer Zwiebelschalenstruktur aus fusionierendem Silizium, Sauerstoff, Kohlenstoff, Helium und Wasserstoff. Aber beim Eisen ist dann endgültig Schluß; es kann nur verschmelzen, indem es Energie absorbiert und nicht emittiert.«
»Und all das wird mit der Sonne geschehen?« Mark zögerte. »Unsere Standardmodelle postulieren, daß die Reaktionskette bis zum Eisen nur in Sternen abläuft, die viel massiver sind als die Sonne – sagen wir zwölf Sonnenmassen oder mehr.« Er seufzte theatralisch. »Werden wir also eine Zwiebelschalenfusion im Herzen der Sonne bekommen? Ich weiß es nicht, Uvarov. Wir könnten unsere theoretischen Modelle möglicherweise ebenso gut auf den Müll werfen. Wenn die Photino-Vögel wirklich so weit verbreitet sind, wie es den Anschein hat, gibt es vielleicht keinen einzigen Stern mehr im ganzen Universum, der noch einen ›Standard‹-Lebenszyklus durchläuft.«
»Supersonnenwind«, keuchte Uvarov. »Wann wird der Heliumblitz der Sonne induziert werden?«
»Lieserls diesbezügliche Beobachtungen sind nur vage. Aber, Uvarov, die Bedingungen stimmen. Der Blitz könnte sogar schon gezündet haben. Der Sturm könnte tief im Innern schon losgebrochen sein. Die Expansion könnte schon…«
»Wann, verdammt?«
»Uns bleiben ein paar Jahrhunderte. Nicht mehr.«
Uvarov schwenkte den blinden Kopf im Salon herum. Er stellte sich das hinter diesen Wänden liegende, zerstörte Jupitersystem vor, den aufgeblähten Stern, der den Himmel draußen beherrschte.
»Dann können wir hier nicht bleiben«, sagte er.
21
ALS SIE DEN WIPFEL des riesigen Kapokbaumes erklommen hatte, waren ihre Handflächen glitschig vor Schweiß, und ihre Lungen pumpten heftig. Seilspinnerin setzte die Brille ab und wischte die Gläser an einem Zipfel ihres Lendenschurzes ab. Schwerelosigkeit hin oder her, es war immer noch anstrengend genug, ihre Masse in diesem Wald umherzuwuchten… eine Anstrengung, die proportional mit dem Alter zunahm, ungeachtet der ganzen AS-Behandlung.
Sie war jetzt in der Krone des Kapok. Der große Baum entfaltete sich als eine dichte, verschlungene Masse aus Ästen unter ihr. Überall trieben Samen umher und projizierten Lichtpunkte auf das sich kräuselnde Blätterdach – wie Sternschnuppen, dachte sie. Irgendwo schrie eine Horde Brüllaffen. Ihre unheimlichen, an- und abschwellenden Schreie erinnerten sie an die Sirene, die früher die Unterleute zu ihrem trübsinnigen Tagewerk gerufen hatte…
Sie verdrängte diesen Gedanken mit Entschiedenheit. Sie holte etwas Dörrfleisch aus dem Gürtel und kaute darauf herum, wobei sie den vertrauten, salzigen Geschmack genoß. Sie spürte Müdigkeit, verdammt; sie war allein hierhergekommen – nur für ein paar Stunden –, um die ganze Fremdartigkeit unterhalb des Walddecks und über der Himmelskuppel zu vergessen und wieder in die überschaubare Welt einzutauchen, in der sie aufgewachsen war.
In der Entfernung flog schreiend ein Vogel vorbei, dessen buntes Gefieder einen fröhlichen Kontrast zu dem blassen Nachmittagsblau der Himmelskuppel bildete. Der Vogel flog auf dem Rücken.
»Seilspinnerin.«
Die Stimme war ganz in ihrer Nähe erschallt. Noch immer an ihrem Fleisch kauend, drehte Seilspinnerin sich langsam um.
Louise Ye Armonk schwebte einige Meter entfernt; sie stand auf der kompakten, ästhetischen Plattform eines Null-Gravo-Scooters. Louise grinste. »Habe ich dich erschreckt? Entschuldige, daß ich dich mit dem Scooter überlistet habe; ich weiß nämlich nicht, ob ich den Aufstieg anders geschafft hätte.«
Seilspinnerin blickte sie durchdringend an. »Louise. Schleiche dich nie – niemals – mehr an jemanden in einer Baumkrone an.«
Louise wirkte nicht übermäßig betroffen. »Warum denn nicht? Weil du sonst den Halt verlieren und ein paar Meter vom Ast abtreiben könntest? Welch ein Unglück.«
Seilspinnerin versuchte ihren Ärger zu unterdrücken, aber sie kam sich zunehmend blöd vor. »Komm, Louise. Ich will dir etwas sagen.«
Geschickt manövrierte Louise den Gleiter näher
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