Xeelee 3: Ring
Flanken gigantischer p-Wellen.
6
WIE EIN INSEKT, das um einen Elefanten herumschwirrt, kreiste das Beiboot um die Hülle der Great Northern.
Mark Wu, Louise Ye Armonk, Garry Uvarov und Serena Milpitas beobachteten von ihren Sitzen aus, wie ihre winzige Fähre an dem Raumschiff entlangflog. Ihre Schweigsamkeit, so kam es Mark vor, war dem Anlaß angemessen tief und ehrfürchtig, selbst für vier Menschen, die sich der abschließenden Phase des Projekts bereits so weit genähert hatten wie sie. Und vielleicht, so dachte er, war gerade das ja auch Louises Absicht, der eigentliche Zweck hinter einer vorgeblichen Inspektion des Schiffes durch ihr Top-Management.
Nun, wenn dem so war, dann hatte sie sicherlich Erfolg damit.
Die Lebenskuppel der Northern war ein flacher, transparenter Zylinder mit einem Durchmesser von sechzehnhundert Metern. Es war schon eine komische Vorstellung, daß Michael Pooles komplettes GUT-Schiff – einschließlich des Triebwerkssektors – in dieser glitzernden Kiste hätte Platz finden können; Mark versuchte sich vorzustellen, wie die Hermit Crab in diesem großen Zylinder wie ein riesiges Modell in einer Vitrine schweben würde.
Mark konnte deutlich die vielen Decks der Kuppel erkennen, und die ganze Kuppel war von Bewegung und Licht erfüllt sowie dem kräftigen, saftigen Grün von Pflanzen. Er war sich bewußt, daß die Einrichtung der Kuppel und des übrigen Schiffes noch unvollendet war; das meiste, was er sah, war eigentlich nur eine Virtuellprojektion. Aber dennoch war er von den Dimensionen und der Kühnheit der Konstruktion beeindruckt. Diese Lebenskuppel würde bald eine autarke Stadt sein – nein, mehr als das: Eine Welt für sich, eine zwischen den Sternen driftende Biosphäre.
Heimat für fünftausend Menschen, und das für eintausend Jahre.
Nun nahmen sie Kurs auf die Unterseite der Lebenskuppel. Das Boot näherte sich der gewaltigen, komplexen Struktur des Hauptträgers der Northern und flog etwa dreihundert Meter parallel zu diesem Träger in Richtung der Kuppelbasis.
Dieser Träger war ein fünf Kilometer langer Ausleger aus Metall, der mit Versorgungsmodulen und den Öffnungen von Antennen und anderen Sensoren bestückt war, die sich wie Münder den entfernten Sternen zuwandten. Hinter ihnen führte der Ausleger in die geheimnisvolle Dunkelheit des Triebwerkssektors, wo die Lichter der Arbeiter – menschlicher und robotischer – wie Ameisen umherkrabbelten. Und mit goldenen Bändern am Ausleger vertäut war das riesige Interface, die Wurmloch-Endstelle, die sie in die Zukunft bringen würden. Der pyramidenförmige Rahmen sah aus wie ein kunstvoll gebundenes, glänzendes blaues Band.
Uvarov spreizte die langen Aristokratenfinger und legte die Hände auf die leuchtende Wandung der Fähre. »Verdammt«, sagte er beeindruckt. Die Lichter der Fähre konturierten sein knochiges Profil, als er durch das Bullauge den Ausleger betrachtete. »Es ist vielleicht nicht real, aber trotzdem schön.«
Louise lachte; neben dem dürren, hageren Eugeniker nahm sie sich in Marks Augen kurz und kompakt aus. »Real genug«, meinte sie. »Die Gitterkonstruktion des Auslegers ist bereits fertiggestellt. Es ist nur noch die Verkleidung, die fehlt.« Sie überlegte kurz. »Konfiguration 3-B«, sagte sie dann.
Die sich über den Träger ziehenden blütenartigen Antennen verschwammen und lösten sich in Bildpunkte auf, die wie Schneeflocken wegstoben. Für ein paar Sekunden wuchsen virtuelle Ausrüstungsmodule aus dem Ausleger; durch den Hagel der Module konnte Mark die eigentliche – und elegante – Struktur dreieckiger Elemente im Kern des Trägers erkennen.
Schließlich legte sich der Bildersturm; der Träger stabilisierte sich mit einer neuen Konfiguration aus Linsen und Antennen. Für Marks ungeschultes Auge sah sie eigentlich kaum anders aus als das Original – vielleicht etwas spärlicher –, aber er registrierte, daß Serena Milpitas fast sehnsüchtig nickte.
»Das ist die Originalkonfiguration«, bemerkte sie. »Sie entspricht der Konzeption des Schiffes für einen Flug ohne Wiederkehr nach Tau Ceti, vor knapp einem Jahrhundert.«
Mark musterte Milpitas neugierig. Die neue Chef-Ingenieurin des Projekts sah aus wie vierzig, aber Mark wußte, daß sie mindestens doppelt so alt war. Er wußte auch, daß leichte Unstimmigkeiten zwischen Milpitas und Louise aufgetreten waren; deshalb wunderte er sich, daß Milpitas jetzt Louises Leistung lobte. »Du klingst ein wenig
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