Xeelee 4: Flux
Frauending, das Bildnis von Karen Macrae, war verschwunden. Hork krümmte sich in der Luft und schlug frustriert ins Leere.
Doch nun tauchten neue Schatten in der Kabine auf, grünblaue Schatten, die von einer Quelle hinter Dura ausgingen. Der Ursprung befand sich außerhalb des Schiffs. Sie drehte sich um.
Sie identifizierte das Objekt sofort als Tetraeder; ein pyramidenförmiger, blau glühender Gitterrohrrahmen. Goldene, gekräuselte Flächen füllten die Zwischenräume aus. Das Konstrukt hatte eine Seitenlänge von vielleicht zehn Mannhöhen, und die Zwischenräume waren so breit, daß ein Schiff von der Größe des ›Schweins‹ hindurchpaßte.
Es war ein Tor. Ein vierseitiges Tor.
Dura fühlte sich wieder wie ein Kind; ein staunendes Lächeln beherrschte ihr Gesicht. Dies war eine Wurmloch-Schnittstelle, der wertvollste aller Schätze, die im Kern verschollen waren.
Vielleicht war es ein Tor, das aus dem Stern hinausführte.
Sie zupfte an Horks Gewand; die Angst wich einem Gefühl des Wunders. »Begreifst du denn nicht, was das bedeutet? Wir können wieder reisen und den Stern von einem Augenblick zum andern durchqueren, wie wir es vor den Kern-Kriegen getan hatten…«
Er stieß sie weg. »Sicher. Ich verstehe durchaus, was das bedeutet. Karen Macrae bringt die Störfälle nicht unter Kontrolle. Zum erstenmal in all den Jahren, seit sie und ihre den Kern verseuchenden Freunde uns im Mantel abgeladen und unserem Schicksal überlassen haben, brauchen sie uns. Wir – du und ich – müssen durch dieses Ding fliegen, wohin auch immer die Reise geht, und die Störfälle beheben.«
22
CRIS MIXXAX KLETTERTE auf das Brett und stellte die Füße auf das polierte Holz. Es fühlte sich warm und vertraut an. Die Sohlen saugten sich an der geriffelten Oberfläche fest, und das ins Brett eingearbeitete Kernstoffgewebe vermittelte den Eindruck von kalten, harten Knochen. Versuchsweise ging er in die Hocke. Elektronengas waberte knisternd um Knöchel und Zehen, als das Brett die Flußlinien schnitt. Das Magfeld war elastisch und fest.
Cris grinste. Es fühlte sich gut an. Alles fühlte sich gut an. Nun war der Tag gekommen, und es würde sein Tag werden.
Der Himmel war ein großes Diorama. Der Südpol, mit dem tief im Quanten-Meer versunkenen purpurnen Herzen, stand fast direkt unter ihm; er spürte, wie die durch den Pol verzerrten Feldlinien seinen Körper durchdrangen. Die Kruste schien zum Greifen nahe über ihm zu hängen, wobei die herabbaumelnden, im Detail erkennbaren Krusten-Bäume wie flammende Haare leuchteten: die Weizenfelder zeichneten sich als farbige, strukturierte Rechtecke ab – scharfe Konturen, welche die Menschen der urwüchsigen Natur des Sterns aufgeprägt hatten.
Die Stadt schwebte in der Luft über dem Pol. Parz stand so tief unter ihm, daß er es fast mit der Handfläche hätte ausblenden und sich der Illusion hingeben können, er sei allein im Himmel – allein mit seinen Surfkumpanen. Parz sah aus wie ein kompliziertes Holzspielzeug, das von einem Käfig aus leuchtenden Anker-Bändern umgeben und von hundert Öffnungen durchsetzt war, aus denen das grüne Licht von Holz-Lampen drang. Abwässer flossen in einem steten Strom aus der Unterseite in der Nähe des aus dem Hafen ragenden Rückgrats. Er sah den leuchtenden Auswuchs, der das Stadion darstellte; es klammerte sich wie ein fragiler Ableger an die Oberkante der Stadt, wobei die Loge des Komitees sich als bunter Balkon darüber abzeichnete. Er wußte, daß irgendwo dort drinnen seine Eltern zuschauten – und für seinen Erfolg beteten, wie er sich gern einredete. Doch vielleicht wünschten sie sich auch, daß er versagte – und seinen Traum, das Surfen, aufgab und wieder ein genauso betuliches und langweiliges Leben führte wie sie.
Er schüttelte den Kopf und schaute auf die Stadt hinab, als ob er ein über ihr schwebender Gott wäre. Hier draußen schienen die Widrigkeiten des Stadtlebens nichtig und klein; er war in Hochstimmung und betrachtete die Dinge mit Abstand und Gelassenheit. Seine Eltern liebten ihn und wollten nur sein Bestes – was sie eben dafür hielten.
Die Rufe der Rennleitung, deren Vertreter sich winzig am weiten, glühenden Himmel abzeichneten, drifteten zu ihm herüber. Gleich ging es los. Er schaute sich um. Es waren hundert Surfer, die sich am Himmel zu einer Linie formiert hatten; nun schlossen sie zu den mit signalroten Uniformen bekleideten Repräsentanten der Rennleitung auf. Cris stieß mit dem
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