Xeelee 4: Flux
errichteten, einander zu beherrschen.
Muub lauschte Addas unbeholfenen Ausführungen. »Das ist unvermeidlich«, sagte er mit unbewegter Miene. »Man muß eine Organisation – sprich Hierarchie – aufbauen, wenn man die komplexen, wechselwirkenden Systeme beherrschen will, durch die eine Gesellschaft wie die Stadt mit dem Hinterland verbunden ist. Und nur innerhalb einer solchen Gesellschaft können die Menschen sich der Kunst, Wissenschaft und Philosophie widmen – und sogar Vergnügungen der primitiven Art, wie diesen Spielen. Und Hierarchien bedingen Macht.« Er lächelte Adda herablassend an. »Die Menschen sind nun einmal nicht edel, Oberströmler. Schauen Sie sich doch nur einmal um. Die dunklere Seite ihres Wesens werden sie immer dann herauskehren, wenn sie sich einen Vorteil davon versprechen.«
Adda erinnerte sich an seine Jugend am Oberlauf wo die Welt noch nicht so kompliziert gewesen war, wie sie sich ihm nun darstellte. Er erinnerte sich an die aus Männern und Frauen bestehenden Jagdgesellschaften, die in die Luft eingetaucht waren und mit wachen Sinnen die Umgebung beobachtet hatten. Diese Zusammenarbeit hatte das wahre Leben ausgemacht.
Ihm wurde bewußt, daß Muub ein Beobachter war. Er glaubte, er würde über dem Rest der Menschheit stehen, und dabei hatte er den Bezug zur Welt verloren. Im Grunde war er schon tot. Das Leben bestand darin, sich selbst treu zu bleiben und sich der Welt und den anderen Menschen zu stellen. Die Stadt hingegen war eine riesige Maschine, deren Zweck darin bestand, die Bewohner gerade daran zu hindern – sie einander zu entfremden. Kein Wunder, daß die jungen Leute aus den Frachtluken stiegen und auf der Haut lebten, um durch die Luft zu fliegen. In ihrer Sehnsucht nach Leben.
Das Licht hatte sich verändert. Das ohnehin schon leuchtende Gelb der Luft über dem Pol wirkte nun noch greller. Verwirrt richtete er den Blick zum Oberlauf.
Ein erwartungsvolles Raunen drang aus der Loge, auf das ein Echo aus dem Stadion folgte. Muub berührte Addas Arm und wies nach oben. »Schauen Sie. Die Surfer. Sehen Sie sie?«
Die Surfer waren als sechseckiges Muster aus leuchtenden Punkten über den Himmel verteilt. Sogar der ansonsten so kühle Muub schaute mit allen Anzeichen der Spannung nach oben, wobei er sich offensichtlich fragte, wie es möglich war, in solcher Entfernung von der Stadt auf den Flußlinien zu reiten.
Doch Adda machte sich noch immer Sorgen wegen der veränderten Lichtverhältnisse. Er suchte den Horizont ab, wobei er die durch die Klarholz-Wand verursachten Verzerrungen verfluchte.
Dann sah er es.
Am Oberlauf, im hohen Norden, waren die Feldlinien verschwunden.
Sein – ihr – Name war Karen Macrae. Vor tausend Jahren war sie an einem Ort namens Mars geboren worden.
Das sind Erd-Standardjahre, sagte sie. Sie entsprechen einem halben Mars-Jahr, sind aber mit euren Jahren identisch… Wir haben eure innere Uhr so programmiert, daß sie dem Stoffwechsel des Durchschnittsmenschen entspricht, und indem wir euch dahingehend ausgelegt haben, die Rhythmen des Neutronensterns zu zählen, haben wir dieselbe Terminologie mit Tagen, Wochen und Jahren… Ihr solltet im Gleichtakt mit uns leben, damit wir mit euch kommunizieren konnten. Karen Macrae zögerte. Mit ihnen, meine ich. Mit Standard-Menschen.
Dura und Hork wechselten Blicke. »Weißt du, was sie will?« zischte er.
Dura starrte Karen Macrae an. Die Projektion hatte sich nun vom Mittelpunkt der Kabine entfernt und faserte aus; es handelte sich nicht um ein einzelnes Bild, sondern um eine Art Mosaik, das aus kleinen bunten Lichtwürfeln zusammengesetzt war. »Bist du ein Ur-Mensch?« fragte Dura.
Ein was? fragte Karen Macrae mit knisternder Stimme. Ach so, du meinst einen Standard-Menschen. Nein, bin ich nicht. Allerdings war ich mal einer…
Karen Macrae und fünfhundert andere waren von – von irgendwo zum Stern gekommen. Vielleicht vom Mars, mutmaßte Dura. Dann hatten sie ein Lager außerhalb des Sterns errichtet. Bei ihrer Ankunft hatte es keine Menschen im Stern gegeben; es gab nur die einheimischen Lebensformen – die Schweine, die Rochen, die Spin-Spinnen mit ihren Netzen und die Krusten-Bäume.
Karen Macrae war gekommen, um den Stern mit Menschen zu besiedeln.
Ein Neutronenstern hat eine erstaunlich komplexe Struktur, wisperte Karen Macrae. Wußtet ihr das schon? Ich meine, der Kern entspricht einem gigantischen Atomkern – einem Hypernukleus, der zu vierundzwanzig Prozent aus
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