Xeelee 4: Flux
vorgekommen?«
Bzya drehte das Gesicht zur Lampe. »Wenn es geschieht, weiß man oben im Hafen sofort Bescheid«, sagte er. »Das Kabel hat dann nämlich keine Spannung mehr, und man muß es nicht erst einholen, um zu wissen, daß es gerissen ist…«
»Und wir? Was geschieht dann mit uns?«
Hosch reckte den Kopf vor. »Du stellst vielleicht dumme Fragen. Aber ich kann dich trösten. Wenn das Kabel reißt, wirst du es überhaupt nicht merken.« Er krümmte die Finger und ballte sie vor Farrs Gesicht zur Faust.
Farr zuckte zurück. »Vielleicht solltest du mir sagen, welche tödlichen Gefahren noch auf mich lauern. Dann wäre ich wenigstens darauf vorbereitet…«
Plötzlich wurde die Glocke von einem Stoß erschüttert, und er verlor den Halt. Wieder mußte Bzya ihm helfen und zur Stange bugsieren.
Bzya legte den Finger auf die Lippen; Hosch blickte nur düster.
Farr stockte der Atem.
Etwas schabte über die Hülle der Glocke, als ob Fingernägel auf Holz kratzten. Es dauerte ein paar Augenblicke, und dann hörte es wieder auf.
Nach einigen Minuten setzten sie die Fahrt fort; vor Farrs geistigem Auge erschien ein meterlanges Kabel, das mannshohe Wellen schlug.
»Was war das?« Er sah zum Fenster hoch, durch das ein diffuses purpurnes Licht fiel. »Sind wir schon im Quanten-Meer?«
»Nein«, sagte Bzya. »Nein, das Meer liegt noch mehrere hundert Meter unter uns. Wir werden kaum in die oberen Schichten des UnterMantels eindringen, Farr. Aber wir befinden uns schon einige Meter unter dem Rückgrat.«
»Genau«, bestätigte Hosch und blickte Farr durchdringend an. »Und das war ein Kolonist, der von den Toten auferstanden ist, um zu sehen, wer ihn besuchen kommt.«
Farrs Unterkiefer klappte hinunter.
»Es ist ein Kernstoff-Berg«, sagte Bzya. »Kernstoff. Das ist alles.«
Hosch grinste und ließ den Blick durch die Kabine schweifen.
Farr wußte, daß Hosch ihn veralberte, doch hatten seine Worte ihre Wirkung nicht verfehlt. Er hatte schon immer Gefallen an den Kern krieg-Geschichten gefunden und mit wohligem Schauder die unerreichbare Oberfläche des Quanten-Meers betrachtet, wobei er Visionen der alten, modifizierten Kreaturen hatte, welche die Tiefen der See bevölkerten. Aber die Geschichten vom Krieg und dem Verlust der menschlichen Identität wiesen nicht den geringsten Bezug zum Alltagsleben auf und waren deshalb völlig bedeutungslos.
Dura hatte ihm jedoch von der fraktalen Skulptur erzählt, die sie in der Universität von Parz gesehen hatte – die Skulptur eines Kolonisten, wie Ito gesagt hatte. Und nun stieg er selbst in den UnterMantel hinab, im Schutz einer primitiven, nach wie vor rätselhaften Technik.
Er klammerte sich an die Stange und betrachtete das diffuse Licht im Fenster.
Wieder schabte die Hülle an irgend etwas entlang. Wieder ging ein Ruck durch die Glocke, worauf Farr sich schier der Magen umdrehte.
Diesmal wirkten Hosch und Bzya nicht überrascht. Hosch drehte sich um und drückte das Gesicht gegen eine Scheibe, während Bzya den Griff um die Stange lockerte und die Finger krümmte.
»Was ist nun los?« flüsterte Farr.
»Wir glauben, daß wir einen Berg gestreift haben…«
Unter der Oberfläche des Quanten-Meers konnten keine Atomkerne – Zusammenballungen von Protonen und Neutronen – existieren. Und mit zunehmender Tiefe wurde die Dichte so hoch, daß die Nukleonen selbst sich berührten. Das Ergebnis dieser Kollision waren Hyperonen, exotische Verbindungen aus Quarks. Die Hyperonen indes waren in der Lage, Inseln aus dichter Materie zu bilden – Kernstoff-Berge –, die nicht von der extremen Dichte im Herzen des Sterns beeinflußt wurden. Die Berge wurden von der Strömung des Quanten-Meers in solche Höhen getrieben, daß die Fischer sie aufsammeln und nach Parz bringen konnten.
»Er hängt an der Hülle der Glocke fest«, sagte Bzya und imitierte den Aufprall des Bergs mit den Fäusten. »Klar? Er ist vom Magnetfeld der Kernstoff-Bänder angezogen worden. Und aufgrund des Magfelds, das in seinem Innern erzeugt wird, hängt er nun hier fest.«
Hosch grinste erneut, und Farr bemerkte, daß der Aufseher Mundgeruch hatte. »Gute Ernte. Wir haben Glück. Wir sind höchstens vier Meter unterhalb von Parz. Paß auf, Junge.« Mit einer ausladenden Geste legte Hosch die zwei Schalter am Instrumentenbrett um.
Farr hielt den Atem an, doch eine Veränderung schien nicht eingetreten zu sein. Die Glocke taumelte noch immer haltlos durch den UnterMantel – durch den
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