Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
Ich zog meine Kette hervor und zeigte ihr das Armband.
„Hat das jemand für dich gemacht?“
„Ja. Ein Freund“, fügte ich hinzu, ehe sie nachhaken konnte.
Doch sie furchte nur die schmalen Brauen und fragte: „Und was ist das letzte?“
Während ich in meinem Rucksack kramte, überlegte ich, ob meine Mutter schockiert wäre, wenn sie erfuhr, dass mir eine Waffe viel bedeutete. Aber da ich alles andere als die perfekte Tochter war, würde sie wohl kaum allzu überrascht sein. Ich zeigte ihr mein Schnappmesser und erklärte ihr die Bedeutung der silbernen Symbole auf dem Griff.
„Vom selben Freund?“, wollte sie wissen.
Lachend erzählte ich ihr von Ari und Janco. „Sie sind mehr wie ältere Brüder als Freunde.“
Das Lächeln meiner Mutter war wie der Sonnenschein nach einem schweren Sturm. „Es ist gut zu wissen, dass es Menschen in Ixia gibt, die sich um dich sorgen.“ Sie steckte mein Feueramulett in eine der Taschen ihres Umhangs. „Feuer bedeutet Stärke. Ich werde es immer bei mir tragen.“
Unvermittelt schloss sie mich fest in die Arme. Dann löste sie sich von mir und sagte: „Du zitterst ja. Zieh deinen Umhang über und lass uns hineingehen.“
„Ja, Mutter.“
Esau und Irys erwarteten uns im Gästeflügel auf der westlichen Seite des Bergfrieds. Mein Vater umarmte mich so stürmisch, dass mir die Luft wegblieb. Die Einladung meiner Eltern zum Abendessen lehnte ich allerdings ab. Meine Sehnsucht nach einem Bad und meinem Bett waren stärker als mein Hunger. Dafür musste ich ihnen versprechen, den nächsten Tag mit ihnen zu verbringen. Erst dann ließen sie mich gehen.
Irys begleitete mich zur Badestube. Unter ihren Augen zeichneten sich dunkle Ringe ab, und sie sah so müde aus, wie ich mich fühlte. Außerdem schien sie etwas zu bedrücken.
„Hast du Magie bei deiner Mutter angewendet?“, erkundigte sie sich.
„Ich glaube nicht. Wieso?“
„Sie wirkte so ausgeglichen. Vielleicht hast du es unbewusst getan.“
„Aber das wäre nicht gut. Ich sollte doch vollkommene Kontrolle haben, oder?“
„Allmählich komme ich zu der Auffassung, dass auf dich nicht alle Regeln zutreffen, Yelena. Vielleicht liegt es an deiner Erziehung, oder daran, dass du erst in fortgeschrittenem Alter begonnen hast, Kontrolle über deine Zauberkräfte auszuüben, dass deine Fähigkeiten sich auf ungewöhnliche Weise entwickeln. Darüber musst du dir aber nicht den Kopf zerbrechen“, fügte sie rasch hinzu, als sie meinen Gesichtsausdruck sah. „Ich glaube sogar, dass es zu deinem Vorteil sein wird.“
Vor der Badestube trennten wir uns. Nachdem ich mich eine Weile im heißen Wasser ausgeruht hatte, ging ich ermattet in meine Wohnung. Sekunden vor dem Einschlafen wunderte ich mich noch darüber, dass Irys mir offenbar genug vertraute, um keine weiteren Wächter vor meiner Tür aufzustellen.
Ich hatte den Eindruck, nur kurz und traumlos geschlafen zu haben, als ein mentaler Kontakt von Irys mich aufweckte. Ich blinzelte in das helle Sonnenlicht und versuchte, mich zurechtzufinden.
Wie spät? , fragte ich sie.
Später Vormittag , antwortete Irys.
Vormittag? Das bedeutete, dass ich seit gestern Nachmittag ununterbrochen geschlafen hatte. Warum hast du mich geweckt?
Eine Dringlichkeitssitzung ist einberufen worden, und deine Anwesenheit wird erwünscht.
Dringlichkeitssitzung?
Goel ist ermordet worden, und Cahil behauptet, Ratgeber Ilom sei niemand anders als Valek in Verkleidung.
28. KAPITEL
G oel ermordet? Valek gefangen genommen? Ich war noch viel zu erschöpft, um die Bedeutung von Irys Worten zu verstehen, und sie zog sich zurück,
bevor ich genauer nachfragen konnte. So schnell wie möglich schlüpfte ich in meine Kleider und hastete zur Versammlungshalle.
Hatte Valek Goel umgebracht? Falls man Valek wirklich in Gewahrsam genommen hatte, war das für die Sitianer nur ein Grund mehr, ihn hinzurichten. Sollte ich überrascht tun, dass Valek sich im Land aufhielt, oder zugeben, dass ich es gewusst hatte? Würde man mich mit Goels Tod in Verbindung bringen? Vielleicht verdächtigten sie ja mich. Ich hatte Irys nur gesagt, wo sie Goel finden konnten; die anderen hatte ich mit keinem Wort erwähnt.
Hunderte von Fragen, auf die ich leider keine Antwort hatte, wirbelten durch meine Gedanken. Vor den Stufen der Versammlungshalle blieb ich stehen, strich meinen Zopf glatt und ordnete meine Kleider – eine der neuen Blusen und den Hosenrock, den Nutty mir geschneidert hatte. Vorsichtshalber
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