Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
ich mich um. Esaus Arbeitszimmer war vollgestopft mit Pflanzen, Kisten, Haufen von Blättern und Werkzeugen. Die Regale bogen sich unter der Last zahlreicher Gläser, die mit merkwürdigen Substanzen und verschiedenen Flüssigkeiten gefüllt waren. Man konnte sich in diesem Zimmer kaum bewegen, ohne an irgendetwas zu stoßen. Das Durcheinander erinnerte mich an Valeks Arbeitszimmer und Wohnung. Doch während Valek von Büchern, Papieren und Steinen umgeben war, hatte Esau sich den Urwald in sein Haus geholt.
Zögernd blieb ich an der Tür stehen.
„Komm nur herein.“ Er ging an mir vorbei. „Ich möchte dir etwas zeigen.“
Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg zu ihm. „Was machst du denn hier?“
„Dies und das“, erwiderte er, während er einen Stapel Papiere durchwühlte, die auf einem Tisch lagen. „Ich sammle gerne Dinge aus dem Urwald und probiere aus, was man daraus machen kann. Auf diese Weise habe ich einige Arzneien und Nahrungsmittel entdeckt. Und Blumen für deine Mutter. Aha.“ Er hielt ein weißes Notizbuch hoch. „Hier.“
Ich nahm das Buch zur Hand, aber meine Aufmerksamkeit galt weiterhin dem Zimmer, in dem ich nach etwas Vertrautem Ausschau hielt. Seine Worte „deine Mutter“ hatten meinen Zweifeln, die mich seit meiner Ankunft in der Heimstatt der Zaltanas nicht verlassen hatten, neue Nahrung gegeben. Schließlich stellte ich Esau die gleiche Frage, die ich bereits Perl gestellt hatte. „Woher weißt du eigentlich, dass ich deine Tochter bin? Du scheinst dir so sicher zu sein.“
Esau lächelte. „Schau in dieses Buch.“
Ich öffnete den Einband. Auf der ersten Seite war die Kohlezeichnung eines Babys.
„Blättere weiter.“
Die nächste Seite zeigte ein kleines Kind. Von Blatt zu Blatt wuchs das Mädchen von einem Kind zu einer Jugendlichen, die mir sehr vertraut war. Ich war es selbst. Meine Kehle wurde eng, und ich spürte Tränen in meine Augen steigen. Auch während meiner Abwesenheit hatte die Liebe meines Vaters zu mir nicht nachgelassen, und ich konnte mich nicht einmal an die geringste Kleinigkeit aus der Zeit, die ich hier verbracht hatte, erinnern. Die Zeichnungen zeigten meine Kindheit, wie sie hätte sein sollen, wenn ich bei Esau und Perl aufgewachsen wäre.
„Es ist übrigens lustig, das Buch ganz schnell durchzublättern. Dann kannst du nämlich sehen, wie du innerhalb weniger Sekunden zwanzig Jahre alt wirst.“ Esau nahm mir das Skizzenbuch aus der Hand, ohne es zu schließen. „Siehst du? Deshalb also weiß ich, dass du meine Tochter bist. Jedes Jahr zu deinem Geburtstag habe ich dein Bild gezeichnet – auch, nachdem du verschwunden warst.“ Er schlug die letzte Seite auf und betrachtete das Porträt. „Ich lag nicht allzu sehr daneben. Es ist nicht perfekt, aber jetzt, nachdem ich dich gesehen habe, kann ich es ja verbessern.“
Er klopfte mit dem Band sanft gegen seine Brust. „Nachdem du verschwunden warst, hat deine Mutter das Buch immer bei sich gehabt und den ganzen Tag die Bilder angeschaut. Schließlich hat sie damit aufgehört. Aber als sie mich ein paar Jahre später beim Zeichnen eines weiteren Bildes erwischt hat, bat sie mich, es zu zerreißen.“ Esau gab mir das Buch zurück. „Ich habe ihr versprochen, dass sie es nie wieder zu Gesicht bekäme. Soweit ich weiß, hat sie es auch nicht mehr gesehen. Also lass es fürs Erste unser Geheimnis bleiben, einverstanden?“
„Natürlich.“ Ausführlich betrachtete ich Seite für Seite. „Es ist wunderschön.“
Alle Zweifel an meiner Abstammung verschwanden im Handumdrehen, als ich sah, mit welcher Sorgfalt und wie detailreich mein Vater die Zeichnungen angefertigt hatte. Von diesem Moment an wusste ich, dass ich zum Zaltana-Clan gehörte. Ich hatte das Gefühl, als sei eine große Last von mir genommen, und schwor mir, ganz fest an der Beziehung zu meinen Eltern zu arbeiten. Mit Leif war das allerdings eine andere Sache.
„Du solltest Leif dein Skizzenbuch zeigen“, sagte ich, während ich Esau den Band zurückgab. „Vielleicht glaubt er dann, dass ich seine Schwester bin.“
„Mach dir keine Gedanken über Leif. Er braucht die Bilder nicht zu sehen. Er weiß, wer du bist. Er hat bloß noch nicht den Schock überwunden, dich plötzlich wiederzusehen. Nach deinem Verschwinden hat er eine schwere Zeit durchgemacht.“
„Stimmt, ich vergaß. Ich hatte es im Norden ja so einfach.“
Esau zog eine Grimasse, und sofort tat mir mein Sarkasmus leid.
„Leif war an dem Tag, an dem man
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