Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
näher zum Feuer bringen. Hier hinten ist es zu dunkel. Ich habe eine Nachtwache im Vier-Stunden-Turnus organisiert“, sagte Captain Marrok.
Goel packte mich unter den Armen und hievte mich auf die Füße. Fast rechnete ich mit einem neuerlichen Anfall von Übelkeit, aber nichts geschah. Mein Magen revoltierte nicht mehr, und mein Kopf war bereits wieder so klar, dass ich mich fragte, wie ich es schaffen sollte, mit einer solch kurzen Kette zwischen meinen Füßen zu laufen. Wenigstens waren meine Hand- und Fußgelenke nicht miteinander verbunden.
Doch das Problem löste sich von allein, denn Goel warf mich kurzerhand über seine Schulter. Als er mich in der Nähe des Feuers wieder absetzte, unterbrachen die anderen Männer ihr Gespräch. Einer drückte eine blutige Kompresse gegen seine Nase und starrte mich wütend an.
Marrok hielt mir einen gefüllten Teller hin. „Iss das. Du wirst deine Kräfte brauchen.“
Die Wächter brachen in hämisches Gelächter aus. Es jagte mir Angst ein.
Ich überlegte, ob ich das Fleisch, den Käse und das Brot essen sollte. Schließlich hatte ich mich gerade übergeben. Doch der appetitanregende Duft von gegrilltem Braten erleichterte mir die Entscheidung. Nachdem ich den ersten Bissen auf Gift getestet hatte, verschlang ich meine Mahlzeit.
Jetzt, nachdem meine Kopfschmerzen verschwunden waren und das Essen meine Lebensgeister wieder halbwegs geweckt hatte, begann ich, mir Gedanken über meine Situation zu machen. Die wichtigste Frage war, warum Leif und ich gefangen genommen worden waren – und von wem. Ich fragte Goel, der immer noch in meiner Nähe stand.
Er schlug mir mit dem Handrücken ins Gesicht. „Halt’s Maul“, befahl er.
Meine Wange brannte, und ich hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Ich hasste diesen Goel.
Während der folgenden Stunden sagte ich kein Wort mehr, während ich fieberhaft nach einer Fluchtmöglichkeit Ausschau hielt. Meinen Rucksack konnte ich nirgendwo entdecken, aber auf der anderen Seite des Lagerfeuers versuchte ein anderer schwergewichtiger Wächter, seinen Kumpel mit meinem Streitkolben in Schach zu halten. Vor Anstrengung schwitzend, hieb der bullige Mann hilflos auf das Übungsschwert seines Gegners ein, der ihn mühelos besiegte.
Eine Weile lang schaute ich dem Kampf zu. Die beiden waren offenbar Soldaten, obwohl sie die selbst geschneiderte Kleidung von Zivilisten trugen. Sie waren zwischen Mitte zwanzig und Ende vierzig, vielleicht sogar in den Fünfzigern. Söldner möglicherweise? Captain Marrok jedenfalls war ihr Vorgesetzter, daran bestand kein Zweifel.
Warum aber hatten sie uns überfallen? Wenn sie Geld wollten, hätten sie uns berauben und längst über alle Berge sein können. Wären sie Mörder, dann wäre ich schon längst tot. Somit blieb nur noch Entführung. Für ein Lösegeld? Oder etwas Schlimmeres?
Wenn ich mir vorstellte, dass meine Eltern von meiner neuerlichen Gefangennahme erfahren müssten, lief es mir eiskalt über den Rücken, und ich schwor mir, es dieses Mal nicht so weit kommen zu lassen. Irgendwie musste es mir gelingen zu fliehen, aber mir war klar, dass ich unter Goels wachsamen Blicken so gut wie keine Chance hatte.
Ich rieb mir den Nacken. Als ich meine Hand zurückzog, war sie klebrig von Blut. Mit meinen Fingerspitzen ertastete ich eine klaffende Wunde unterhalb meines Schädels und einen kleinen Schnitt über meiner linken Schläfe. Wie zufällig fasste ich nach meinem Haarknoten und ließ betont gleichgültig die Hand sinken. Meine Pickel steckten noch in meinem Haar und hielten den Knoten an seinem Platz, und ich betete zu Gott, dass Goel die Dietriche nicht bemerkte.
Eine Fluchtmöglichkeit war also zum Greifen nahe. Ich musste nur ein paar Minuten lang unbeobachtet sein. Daran war im Moment allerdings leider nicht zu denken, denn genau in diesem Augenblick traten zwei Männer aus dem Zelt und kamen geradewegs auf mich zu.
„Er will sie sehen“, sagte einer der Männer zu Goel, als sie mich hochzogen.
Sie zerrten mich zum Zelt. Goel folgte uns. Ich wurde hineingeschoben und zu Boden geworfen. Als sich meine Augen an das schwache Kerzenlicht gewöhnt hatten, entdeckte ich den jungen Reiter an einem Segeltuchtisch. Neben ihm saß Leif, ohne Fesseln und unbewaffnet. Auf dem Tisch lag mein Rucksack, den sie ausgeleert hatten.
Mühsam rappelte ich mich auf. „Sind das Freunde von dir?“, fragte ich Leif.
Etwas Hartes traf meinen Kopf, und ich stürzte erneut zu Boden. Leif erhob
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