Yelena und der Mörder von Sitia - Snyder, M: Yelena und der Mörder von Sitia
einen gigantischen Pinsel zur Hand genommen und breite Farbbänder über die Landschaft gemalt.
Die Ebene wirkte verlassen, und nirgendwo bemerkte ich ein Anzeichen von wilden Tieren. Nur die Farben bewegten sich sanft im Wind. Als Kiki in die Ebene abdrehte, entdeckte ich eine schwache Spur, die durch das Gras führte.
Die hohen Halme kitzelten meine Beine und Kikis Bauch. Sie trabte jetzt gelassener. Ich nahm Kontakt zu ihr auf. Wir waren auf dem richtigen Weg, und der strenge Geruch von Pferden stieg ihr in die Nase. Sie konnte jedes an seinem Aroma erkennen. Silk. Topaz. Rusalka.
Rusalka?
Das Pferd des traurigen Mannes.
Verwirrt dachte ich eine Weile nach, ehe mir klar wurde, dass „trauriger Mann“ Kikis Name für Leif war. Der erste Eindruck, den ein Pferd von einem Menschen gewinnt, ist maßgeblich für den Namen, den das Tier ihm gibt, und den teilten sie auch den anderen Pferden mit. Das hatte ich von Kiki erfahren. Offenbar änderte sich der Name nie mehr. Aus Sicht der Pferde war das durchaus vernünftig. Sie gaben uns ebenso Namen wie wir ihnen.
Weitere Pferde? , fragte ich.
Nein.
Andere Männer?
Nein.
Seltsam, dass Cahil keine weiteren Leute mitgenommen hatte. Auf unserem Weg zur Zitadelle hatte er einen weiten Bogen um die Ebene gemacht, weil er die Sandseeds fürchtete, obwohl zwölf Männer bei ihm waren. Wahrscheinlich fühlte er sich in Begleitung einer Meister-Magierin sicherer. Vielleicht hatte Irys aber auch darauf bestanden, dass er seine Wachhunde im Bergfried zurückließ.
Als wir tiefer in die Ebene vordrangen, merkte ich, dass sich viele Kreaturen in den weitläufigen Wiesen versteckten. Obwohl die Landschaft flach erschien, wies sie Unebenheiten wie eine unordentliche Decke auf. Ich warf einen Blick zurück auf den Weg, den wir gekommen waren. Die Äcker waren nicht mehr zu sehen. Hier und da ragten graue Felsen aus dem Flachland, wuchs ein einsamer Baum auf der riesigen Grasfläche. Feldmäuse und andere kleine Tiere huschten vor Kikis Hufen davon.
Wir kamen an einer merkwürdigen, purpurrot gefärbten Felsformation vorbei. Weiße Adern durchzogen den einsam stehenden Stein, der über meinen Kopf hinwegragte. Die wuchtige, quaderartige Form des Felsens erinnerte mich an etwas. Ich kramte in den Bildern, die ich in meinem Gedächtnis gespeichert hatte, und stellte fest, dass der Stein die Form eines menschlichen Herzens hatte. Merkwürdig, dass ich mich an meine Unterrichtsstunden erinnerte. Biologie hatte ich am meisten gehasst. Dem Lehrer, der uns in Brazells Waisenhaus unterrichtete, hatte es nämlich ein diebisches Vergnügen bereitet, seinen Schülern regelrecht Übelkeit zu verursachen.
Das Licht über der Ebene begann zu schwinden, und die Luft wurde kühler. Der Gedanke, die Nacht an einem so ungeschützten Platz verbringen zu müssen, verursachte mir ein unbehagliches Gefühl.
Wollen wir sie einholen? , fragte Kiki.
Sind wir schon nahe dran?
Der durchdringende Geruch von Pferden mischte sich mit dem schwachen Aroma von Rauch. Durch Kikis Augen konnte ich in der Ferne ein Feuer sehen.
Sie halten an.
Mir blieben zwei Möglichkeiten. Entweder verbrachte ich die Nacht allein, oder ich riskierte Irys’ Zorn, falls ich mich ihnen anschloss. Jedenfalls brauchte ich unbedingt eine Pause, denn da ich nicht daran gewöhnt war, länger als eine Stunde im Sattel zu sitzen, schmerzten meine Beine und mein Rücken höllisch. Kiki dagegen hätte noch weiterlaufen können. Ich zapfte die Energiequelle an und sandte meine Gedanken aus, um die Stimmung im Lager zu erkunden.
Cahil umklammerte den Griff seines Schwerts; die weite offene Landschaft beunruhigte ihn. Leif lag auf dem Boden und schlief fast. Irys …
Yelena! Wie ein Blitz durchzuckte ihr Zorn plötzlich meine Gedanken.
Die Entscheidung war gefallen. Ehe sie eine Erklärung verlangen konnte, zeigte ich ihr, was zwischen mir und Valek vorgefallen war.
Unmöglich.
Das Wort weckte Erinnerungen in mir. Das Gleiche hast du gesagt, als ich Kontakt zu Valek aufnahm, damit er mir bei Rozes mentalem Überfall zu Hilfe kam. Vielleicht verbindet uns etwas, das du noch nicht erlebt hast?
Vielleicht , räumte sie ein. Komm zu uns. Es ist zu spät, um dich nach Hause zu schicken. Und in den Bergfried kannst du auch nicht zurück, denn ohne mich wärst du dem Zorn von Roze schutzlos ausgeliefert.
Keine angenehme Vorstellung. Also befahl ich Kiki, das Lager zu suchen. Sie freute sich, als sie Topaz sah. Er graste mit den
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