Yelena und die Magierin des Südens - Snyder, M: Yelena und die Magierin des Südens
hin.
Ein dumpfer Schlag ließ mich aufschrecken. Es klang wie ein Buch, das zu Boden gefallen war. Meines war es nicht; der Botanikband lag noch auf meinem Schoß, aufgeschlagen bei einem besonders langweiligen Abschnitt über Obstbäume. Ich schaute mich im Wohnzimmer um. Vielleicht war einer vonValeks unordentlich zusammengelegten Bücherstapeln umgestürzt. Ich stieß einen Seufzer aus. Bei dem Durcheinander im Zimmer war das unmöglich festzustellen.
Ein beunruhigender Gedanke schoss mir durch den Kopf. Vielleicht kam das Geräusch aus den oberen Räumen. Vielleicht war es gar kein Buch, sondern eine Person. Jemand, der sich hereingeschlichen hatte und darauf wartete, dass ich einschlief, um mich umzubringen. Zu unruhig, um länger auf dem Sofa sitzen zu bleiben, ging ich in mein Zimmer.
Mein Rucksack lag auf dem Schreibpult. Rand hatte noch nicht nach seinem Messer gefragt, also hatte ich es ihm auch noch nicht zurückgebracht. Als ich es aus dem Rucksack nahm, fielen mir Aris Worte ein, dass man ein Messer nur dann benutzen sollte, wenn man damit umgehen konnte. Es mitzunehmen war vermutlich töricht, aber ich fühlte mich sicherer. Solchermaßen bewaffnet ging ich ins Wohnzimmer zurück und überlegte, was ich jetzt tun sollte. An Schlaf war nicht zu denken, solange ich nicht die oberen Räume durchsucht hatte.
Oben war alles dunkel, und meine Lampe warf nur ein schwaches Licht auf die Stufen, als ich hinaufstieg. Die Treppe machte einen Schwenk nach rechts und führte in ein Zimmer, das vollgestopft war mit Kisten, Büchern und Möbeln, die im Schein meiner Laterne bizarre Schatten an die Wände warfen. Vorsichtig bahnte ich mir einen Weg durch das Chaos. Mein Puls raste, als ich in die Ecken leuchtete, um nach einem verborgenen Angreifer Ausschau zu halten.
Ein plötzlicher Lichtreflex ließ mich zusammenzucken. Ich wirbelte herum – und stellte fest, dass es meine eigene Lampe gewesen war, die sich im Glas eines hohen, schmalen Fensters an der hinteren Wand gespiegelt hatte.
Rechts neben diesem Zimmer befanden sich drei weitere Räume, die den gleichen Grundriss wie die drei entsprechenden neben dem unteren Wohnzimmer hatten. Mit klopfendem Herzen schaute ich in jeden von ihnen, fand allerdings nichts außer weiteren Kisten und Kästen.
Zur Linken erstreckte sich ein langer Korridor, auf dessen rechte Seite gegenüber der steinernen Wand mehrere Türen eingelassen waren. Am Ende des Korridors befand sich eine verschlossene Flügeltür. Kunstvolle Schnitzereien im Ebenholz zeigten eine Jagdszene. Hinter einer Tür, vor der eine dünne Schicht weißen Pulvers lag, vermutete ich Valeks Schlafzimmer. An Fußspuren im Pulver konnte Valek erkennen, ob jemand bei ihm eingebrochen war. Das Atmen fiel mir bereits viel leichter, als ich sah, dass der weiße Teppich jungfräulich war.
Beim Blick in die anderen Zimmer entlang des Korridors verstärkte sich mein Eindruck, dass Valek ein ausgesprochen sammelwütiger Mensch war. Unter einem Mörder hatte ich mir immer einen Menschen vorgestellt, der sich vorwiegend im Dunkeln aufhielt, möglichst wenig Dinge besaß und nie lange an einem Ort blieb. In Valeks Wohnung dagegen sah es aus wie im Haus eines alten Ehepaars, das über viele Jahre hinweg alles Mögliche gesammelt und die Räume da mit voll gestopft hatte.
Während ich noch diesem Gedanken nachhing, öffnete ich die letzte Tür. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, was ich sah. Verglichen mit den anderen war dieses Zimmer geradezu leer. Nur ein langer Tisch stand an der Rückwand mitten unter einem großen, tränenförmigen Fenster. Graue Steine mit weißen Adern – die gleichen, die ich in den vergangenen anderthalb Monaten immer wieder in Valeks Wohn- und Arbeitszimmerbewundert hatte – waren der Größe nach auf dem Boden geordnet.
Staubflocken wirbelten auf, als ich das Zimmer betrat. Auf dem Tisch, der einzigen staubfreien Zone des Raums, lagen Schnitzmeißel, Metallfeilen und eine Schleifscheibe. Zwischen dem Werkzeug standen kleine Statuen in unterschiedlichen Stadien der Vollendung. Entzückt stellte ich fest, dass die grauen Steine nach dem Schnitzen und Polieren eine glänzendschwarze Oberfläche erhielten und die weißen Streifen zu silbrig glänzenden Adern wurden.
Ich stellte die Lampe auf den Tisch und griff nach einem vollendeten Schmetterling mit silbernen Punkten auf den Flügeln. Er passte exakt auf meine Handfläche und wirkte so lebensecht, dass es aussah, als würde er
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