You are Mine
mir erst einen Kaffee. Kunstgeschichte kann warten.
Dann sehe ich ihn. Einen Kerl ungefähr in meinem Alter, der die Treppe der Haltestelle hinaufsteigt. Relativ groß und dünn, blonde Haare, die offen um seine Schultern hängen. Irgendwie süß, nehme ich an, aber deswegen habe ich ihn nicht bemerkt. Etwas an seinem Gesicht und seiner Art, sich zu bewegen, ist mir so vertraut. Diese vornübergebeugte, misstrauische –
Oh. Moment. »Hey, Lexi!«
Er schaut auf, und ich lache, rufe wieder seinen Namen, als ich zu ihm gehe. Aber in seinen Augen stehen solche Zweifel, dass ich schon glaube, einen Fehler gemacht zu haben.
»Lexi?«, frage ich. »Du bist es, oder?«
Er zögert, dann nickt er. »Madigan?«
Ich kann es nicht glauben. Lexi, mein Lexi. Ich freue mich so sehr, ihn zu sehen, dass ich nicht mal nachdenke. Ich werfe einfach nur die Arme um ihn und drücke zu. Weil ich das brauche. Diesen Teil meiner Vergangenheit, aus einer Zeit, als meine Vergangenheit gut war. Als sie noch strahlte.
Ich brauche das so sehr.
Als wir uns schließlich voneinander lösen, ist seine Miene so glücklich, so offen, dass mein Herz einen Sprung macht. Und ich fühle es. Ich kann es tatsächlich fühlen, wie die dicke Hülle meiner Einsamkeit einen Riss bekommt.
ba-dum ba-dum ba-dum
Ich habe solche Angst. Um Lexi, der neben mir träumt. Um die Zukunft, um das bisschen Zukunft, das ich vielleicht haben werde. Ich kann heute Nacht nicht mehr schlafen. Ich bin zu aufgewühlt. Ich gleite aus dem Bett und taste mich durch die Dunkelheit. Draußen im Wohnzimmer schalte ich die Stehlampe an. Einmal schlafen keine streunenden Kinder auf dem Sofa.
Ich nehme einen Pinsel und hebe den Stoff von der Leinwand. Ich habe dieses Porträt von Lexi erst vor drei Tagen angefangen. Jetzt beginne ich damit, es zu zerstören. Langsame, vorsätzliche Striche verschmieren die noch nasse Ölfarbe. Wann immer es nötig ist, füge ich weitere Farbe hinzu, bis die Leinwand nur noch von einem dreckigen Braun bedeckt ist. Das wird ein guter Hintergrund für ein anderes Bild. Etwas Düster-Bedrohliches. Vielleicht ein Selbstporträt? Nur das nicht. Nicht Lexi. Diese Beständigkeit macht mir Angst.
Als letztes übermale ich seine Augen. In ihnen liegt kein Vorwurf. Nur Verwirrung und Zärtlichkeit.
Scheiße!
Ich werde alles tun, um mich nicht mehr so zu fühlen. Ich werde nicht mehr zulassen, dass er mir etwas bedeutet, dass das Wir mir etwas bedeutet. Alles, um die Angst abzuwehren, die ständig an mir nagt, sich hebt und senkt mit jedem Schlag meines nutzlosen –
»Madigan?«
Lexi. Ich habe nicht gehört, wie er in den Raum gekommen ist. Ich schlucke schwer, richte mich auf und kläre mein Gesicht. Eine bitter-zerbrechliche Maske, meine automatische Reaktion. Niemand wird mich bemitleiden. Niemand wird es wagen. Lexi hinter mir seufzt. Seine Schritte entfernen sich durch den Flur. Ich weiß, was ich ihm antue, ihnen allen antue. Ich weiß es, aber ich kann nichts dagegen tun.
Ich habe diese Maske zu lange getragen. Jetzt fängt sie an, mich zu tragen.
ba-dum ba-dum ba-dum
Warum können sie mich nicht einfach in Ruhe lassen, diese erbärmlichen kleinen Schwachköpfe? Ich bin sie unendlich leid, besonders Joaquin mit seinen abfälligen Kommentaren und seinem Schmollmund.
»Verschwindet verdammt noch mal von hier!«, schreie ich sie an. »Geht einfach, ihr alle, geht mir aus den Augen.«
Mark und Elizabeth springen ohne Protest von der Couch auf. Leigh folgt ihnen auf dem Fuß, aber Joaquin zieht nur eine Schnute. Er will wissen, wann sie zurückkommen können.
»Nie«, blaffe ich. »Ich will keinen von euch jemals wiedersehen. Sag das den anderen, okay? Niemals.«
Es wird nicht funktionieren. Sie werden zurückkommen. Und es ist mein eigener Fehler, weil ich sie überhaupt erst eingeladen habe. Ihre Fragen ermuntert habe und sie habe glauben lassen, ich wäre ihr verdammter Guru, obwohl ich doch eigentlich nur einen Resonanzboden haben wollte. Etwas, an dem ich meine Theorien testen konnte, um zu sehen, was hängen blieb und was unterging. All meine abgeschmackten, kindlichen Theorien über das Leben, die Kunst und den Tod. So eine unglaubliche Zeitverschwendung. Denn vor mir hat sich eine neue Welt eröffnet, und nur Serge kann mir beibringen, wie ich mich in ihr zurechtfinde.
Lexi wandert aus dem Flur herein. »Könntet ihr vielleicht ein wenig leiser sein?«
Leigh zieht ein mürrisches Gesicht. Joaquin wirft ihm einen hoffnungsvollen
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