Young Sherlock Holmes 2
möglich war?
Nach einer Weile kam er zu dem Schluss, dass es zu nichts führte, wenn er weiter nur in der Koje herumlag. Also stand er auf und ging hinaus.
Die Sonne brannte heiß aufs Deck der
SS Scotia
herab. Ringsherum gab es nichts anderes zu sehen als Wasser und den platten Horizont. Es war, als befände man sich in der Mitte einer umgedrehten blauen Porzellanschale. Und es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass sie sich überhaupt fortbewegten. Sogar die Seevögel schienen bewegungslos über ihnen in der Luft zu schweben.
Nach einigen Minuten merkte Sherlock, dass er, ohne es bewusst wahrzunehmen, schon einige Zeit eine Violine spielen gehört hatte. Rufus Stone? Vermutlich, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sich zwei Geigenspieler an Bord befanden, war ziemlich gering. Außerdem meinte er, allmählich einige Stilelemente von Stones Violinenspiel heraushören zu können: die spielerischen Schnörkel am Ende bestimmter Phrasen und die Art, wie die Finger seiner linken Hand zuweilen mit komplizierten Arpeggios rangen.
Er machte sich auf, um Ausschau nach seinem Violinlehrer zu halten, und stieß schließlich an der gewohnten Stelle am Heck auf ihn. Dieses Mal stand keine Menge um ihn herum. Vielleicht weil es den Zuhörern inzwischen zu langweilig geworden war.
»Ich habe mich schon langsam gefragt, ob du vom Unterricht bereits die Nase voll hast und dich entschlossen hast aufzuhören«, rief Stone, ohne sein Spiel zu unterbrechen.
»Ich hatte … so einiges um die Ohren heute Nachmittag«, erwiderte Sherlock. »Aber jetzt bin ich hier.«
»Dann lass uns anfangen.« Rufus hörte auf zu spielen und setzte die Violine ab. »Noch irgendwelche Fragen, bevor wir sehen, wie viel von unserem morgendlichen Unterricht hängengeblieben ist und wie es mit deiner Haltung aussieht?«
Sherlock dachte einen Augenblick lang nach. »Was ist eigentlich Ihr Lieblingsstück?«, fragte er. »Ist es das von Bruch, das Sie heute Morgen gespielt haben?«
Rufus überlegte einen Moment. »Nein«, sagte er schließlich.»Ich hege eine heimliche Leidenschaft für das Werk von Henryk Wieniawski. Er hat einige Violinkonzerte geschrieben, von denen ich das zweite in d-Moll bevorzuge. Und dann ist da noch Giuseppe Tartinis berüchtigte Violinsonate in g-Moll. Die ist für die Fähigkeiten eines Violinisten eine wahre Herausforderung.«
»Berüchtigt?«, fragte Sherlock.
»Sie ist auch als Teufelstriller-Sonate bekannt. Tartini hat behauptet, dass er im Traum erlebt hat, wie der Teufel Violine spielte. Als er aufwachte, hat er versucht, das Lied, das der Teufel gespielt hatte, aufzuschreiben. Was dabei herauskam, war etwas, das diesem Stück so nahekam, wie Tartini es nur irgend vermochte. Es ist so teuflisch schwierig, dass einige Kritiker behaupteten, für die Fähigkeit es zu spielen, habe Tartini dem Teufel im Gegenzug seine Seele verkaufen müssen.«
»Das ist Blödsinn.«
»Natürlich ist es das. Aber es ist auch eine gute Geschichte, und wenn das Publikum denkt, dass etwas Bizarres und Unheimliches mit der Musik verbunden ist, die es gleich hören wird, trägt das dazu bei, es in Scharen anzulocken.« Er reichte Sherlock die Violine. »Dann wollen wir mal sehen, was hängengeblieben ist.«
Den Rest des Nachmittages übte Sherlock das Violinenspiel unter Rufus Stones kritischem Blick. Nach und nach probierte er dabei verschiedene Arten der Bogenführung aus, um dem Instrument Töne zu entlocken, ohne sich dabei allerdings Gedanken darüber zu machen, um welche es sich nun genau handelte. Für den Augenblick ging es Rufus um die Technik, die Sherlock zu meistern lernen sollte. Sherlock begann mit einfachen Bogenstrichen, indem er mit langen, geschmeidig-fließenden Bewegungen – détaché, wie Rufus es nannte – über eine Saite glitt, während er mit der linken Hand lediglich den Hals des Instrumentes hielt, ohne mit den Fingern auf irgendwelche Saiten zu drücken. Anschließend ging es mit den anderen Saiten auf die gleiche Weise weiter, wobei Sherlock sich nach Kräften anstrengte, dem Instrument einen gleichmäßigen Ton zu entlocken, egal wie lange er ihn halten konnte. Das Ganze nahm Stunden in Anspruch, ehe Rufus zufrieden war.
Und so verlief dann auch der Rest der Reise. Nach dem Frühstück machte Sherlock einen ausgedehnten Spaziergang über Deck und gesellte sich dann für zwei Stunden Violinunterricht zu Rufus Stone, bevor sie sich zum Mittagessen in den Salon begaben. Danach folgten zwei weitere
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