Ysobel – Das Herz aus Diamant
Gefährtin sind es nicht wert, dass du auch nur einen einzigen Atemzug in ihren Diensten verschwendest, Mignonne! Sie tun das schmutzigste Geschäft, das ein Mensch auf dieser Welt machen kann. Sie verachten das Leben und bereichern sich an den Hilflosen, die ihnen ausgeliefert sind!«
Ysobel meinte in diesen Vorwürfen eine Einschätzung ihrer eigenen Situation zu erkennen. Woher wusste Jos so genau Bescheid? Und wenn, was ging es ihn an, dass sie ihrem Bruder und ihrer Schwägerin ausgeliefert war? Sie wollte nicht zu allem Überfluss auch noch als dumme Person gelten, die sich einem Zwang beugte, den er nicht verstehen konnte.
»Du weißt nicht, wovon du redest«, sagte sie spröde. »Ich kenne den Seigneur länger und besser, als du denkst! Er ist ein Edelmann.«
»In der Tat?«, spottete Jos, den ihr hartnäckiger Eigensinn noch mehr erboste. »Dann sag mir doch, aus welchen Quellen der ununterbrochene Strom von Gold stammt, der in einem elenden, ausgehungerten und ausgeplünderten Land für so viel Reichtum und satte Bäuche sorgt?«
»Aus den Schatzkammern von Locronan«, behauptete Ysobel gegen besseres Wissen.
»Ohne Hilfe von außen werden in den Schatzkammern von Locronan nicht einmal mehr die Mäuse satt!«, erwiderte er herablassend.
Einen Herzschlag lang herrschte spannungsgeladenes Schweigen zwischen ihnen. Allein das weit entfernte Rauschen des Meeres strich wie schweres Atmen an den Felswänden entlang und wieder zurück. Ysobel starrte in das markante, harte Männergesicht. Edle Linien, dunkel blitzende Augen und eine Überheblichkeit, wie sie kein Fischer besaß. Warum fiel ihr das erst jetzt auf?
»Du spionierst den Herrn von Locronan aus!«, platzte sie heraus.
Sie sprach diesen Verdacht aus, ohne darüber nachzudenken, in welche Gefahr sie sich damit brachte. Doch, welchen Grund hätte es sonst für Jos’ Fragen geben sollen? Für dieses Höhlenversteck, das so nahe an den geheimen Gängen von Locronan lag, die außer ihr und Gratien kaum jemandem bekannt waren? Seit wann kümmerte es einen Dorfbewohner, was die Leute auf der Burg taten oder woher ihr Vermögen kam?
Jos de Comper erstarrte unter dem Vorwurf. Er hatte Ysobel unterschätzt. Sie mochte die Arbeit einer Magd tun, aber sie hatte beileibe keinen schlichten Geist. Er zwang sich zu einem Lachen, doch er merkte selbst, wie falsch und unecht es klang. Konnte er sie täuschen?
»Warum sollte ich spionieren, meine törichte Kleine? Nenne mir einen Grund! Um mehr Fische als die anderen in meinen Netzen zu haben? Um in Erfahrung zu bringen, wie ich das schönste Mädchen von ganz Locronan zu meinem Schatz machen kann?«
Ysobel ließ sich von dem leichtfertigen Geplänkel nicht ablenken. »Du spionierst hinter dem Seigneur und seiner Gemahlin her, gib es zu! Wessen verdächtigst du sie? Wieso denkst du, dass auf der Burg nicht alles mit rechten Dingen zugeht?«
»Gütiger Himmel!« Jos ließ sich neben Ysobel in den Sand fallen. »Du verstehst das völlig falsch. Ich möchte mehr über dich wissen. Wie du lebst und was du tust; deine unerfreuliche Herrin ist mir egal ...«
»Du denkst, es kommt von Dame Thilda?« Ysobel runzelte die makellose Stirn und überging seine Worte einfach. Die Erklärung für seine Aufmerksamkeit war zu logisch. »Was wirfst du ihr vor?«
Die Hartnäckigkeit mit der Ysobel das Thema weiterverfolgte, brachte den Mann an ihrer Seite aus der Fassung. Das Geschick, mit dem sie aus einem Wust von Worten ausgerechnet jene herauspickte, die tatsächlich wichtig waren, entwaffnete ihn. Sollte er das Risiko eingehen, ihr die Wahrheit zu enthüllen? Konnte er ihr vertrauen? Sein kritischer Verstand riet davon ab, aber seine Zunge hatte ihren eigenen Willen ...
»Es tut mir leid, ich wollte dich nicht belügen«, seufzte er. »Es gibt Dinge, die dringend geklärt werden müssen. Du hast sicher davon gehört, dass Menschen verschwunden sind. Junge Fischer ...«
»Die Werber waren im Hafen. Sie haben darüber gesprochen«, fügte Ysobel ein. »Sie locken mit hohen Preisgeldern und versprechen den armen Kerlen Ruhm und Reichtum auf dem Schlachtfeld, aber keiner von ihnen kehrt je wieder zurück! Deswegen gibt es ja so viele leere Boote rund um die Bucht.«
»Vielleicht bleiben sie fort, weil sie keine andere Wahl haben!«, entgegnete Jos behutsam. »Weißt du, dass auch Frauen verschwunden sind? Junge Mädchen, sogar halbwüchsige Kinder. Truppenwerber haben mit ihnen nichts im Sinn. Die Marketenderinnen kümmern
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