Ysobel – Das Herz aus Diamant
Kamin.«
So sehr sich Ysobel nach Wärme und frischen Kleidern sehnte, der Gedanke, sich anzukleiden, während er ihr dabei zusah, ließ sie von neuem erbeben. Angst und schiere Erschöpfung ließen ihre Augen übernatürlich glänzen. Umrahmt von den wilden feuchten Haarsträhnen wirkte ihr Antlitz, als sei es aus Alabaster gemacht.
»Nun mach schon! Hier!« Paskal Cocherel schlug die nächstbeste Truhe auf und packte das erste Gewand, das ihm in die Finger geriet. »Ich hab’ nicht viel Geduld mit störrischen Weibern!«
Eine Wolke aus goldstarrem grünem Seidenstoff flog zu Ysobel, und nur ihr flinker Zugriff verhinderte, dass das Gewand im Feuer landete. Es handelte sich um eine lose Tunika, die an den Seiten verschnürt und über einem Untergewand getragen wurde. Als sie den Stoff ausbreitete, fiel ihr glücklicherweise auch das goldfarbene Untergewand entgegen, das dazugehörte. Es war eine doppelte Versuchung. Den unglaublich kostbaren Seidenstoff auf der Haut zu spüren und das nasse grobe Tuch loszuwerden, das scheuernd und klamm an ihr klebte.
Sollte sie es wagen? Unter halbgesenkten Wimpern warf sie ihm einen vorsichtigen Blick zu und sah ihn erneut in die Betrachtung des goldenen Kreuzes vertieft, das er keine Sekunde aus der Hand legte. Heilige Anna, es ging ihm ohnehin nur um das Kreuz von Ys; was immer er mit ihr im Sinn hatte, sie würde nichts daran ändern, wenn sie sich in diesem feuchten Zeug noch früher den Tod holte.
Blitzschnell zerrte sie die ohnehin halb zerrissenen Kleider vom Leib und schlüpfte in das Untergewand. Es raschelte so fließend über ihren Körper, dass Paskal Cocherel aufblickend nicht mehr als den blassen Schemen eines schlanken Rückens mit einem hinreißenden Gesäß sah, ehe die Seide alles wieder verbarg. Da sie jedoch gut eine Handbreit größer und besser gebaut als Dame Thilda war, endete das Kleid über ihren Knöcheln, während es um den Busen herum bedrohlich spannte.
Die seitlichen Kordeln der Tunika erlaubten ein wenig Zugabe, aber Ysobel konnte trotzdem nicht verhindern, dass ihre Brüste sich herausfordernd aus dem eckigen, mit Perlen bestickten Ausschnitt wölbten. Sie zerrte ihn, so gut es ging, weiter nach oben, aber Mutter Elissa hätte ihn auch jetzt nicht als schicklich bezeichnet.
Ysobel schimpfte sich im Stillen eine alberne Gans. Was sorgte sie sich in einer solchen Lage um Schicklichkeit? Sie sollte sich besser um ihr Leben sorgen! Aus den Augenwinkeln entdeckte sie auf dem kostbar eingelegten Ebenholztischchen neben dem Kamin eine Haarbürste, die Dame Thilda an diesem Morgen dort abgelegt hatte, als der Lärm des Überfalls bis in ihre Gemächer drang. Sie griff danach und ließ sich auf einem Taburett vor dem Feuer nieder, ehe sie damit begann, ihre feuchten Haare auszubürsten.
Da war nur das Geräusch der Scheite im Kamin und das Streichen der Bürste zu vernehmen, die sie Strähne für Strähne durch ihre kupferfarbenen Locken zog, die im Moment noch nass und dunkel wirkten. Es war eine ermüdende und eintönige Arbeit, aber Ysobel konzentrierte sich ganz darauf. Es hielt sie davon ab, an Jos de Comper zu denken. An die Menschen, die er in Sicherheit brachte, und an das Märchen, das sie für einen törichten Augenblick lang in seinen zärtlichen Armen für möglich gehalten hatte. Sie würde ihn nie wieder sehen, und genau darüber wollte sie nicht nachsinnen.
Gereizt sah ihr Paskal Cocherel dabei zu, wie sie sich mit jedem Bürstenstrich mehr in die Edeldame verwandelte, die sie von Blut und Geburt an war. Er bereute es bereits, dass er sie von ihren Lumpen befreit hatte. Samt und Seide wirkten wie eine Rüstung an ihr, daran änderte auch der wahrhaft atemberaubende Ausschnitt nichts.
Von irgendwoher klang ein gellendes Hornsignal durch die Gänge der Festung. Ysobel ließ die Bürste sinken. Der Herzog von St. Cado lief wie von der Sehne geschnellt zur Tür. Ehe er diese hinter sich zuwarf, bedachte er Ysobel mit einem grimmigen Blick. »Komm nicht auf die Idee, zu fliehen! Der Mann vor deiner Tür bürgt mit seinem Leben für deine Anwesenheit, und alle Tore sind verschlossen!«
Ysobel verzog bitter den Mund. Wohin sollte sie schon fliehen? Es gab nur Locronan, und mit ihm würde sie untergehen!
18. Kapitel
Du bist ziemlich tief gesunken, alter Freund! Deine Bogenschützen machen selbst nach jeder Schlacht einen besseren Eindruck als dieses jämmerliche Häufchen trauriger Gestalten!« Raoul de Nadier verbarg die
Weitere Kostenlose Bücher