Zaertlich beginnt die Nacht
Hatte die Ausbildung auf den besten Schulen finanziert, hatte sie zum Reitunterricht, Tennis und in Skicamps geschickt. Also all die Dinge, die man in der privilegierten Gesellschaft brauchte und mit Geld kaufen konnte.
Aber wirklich geliebt hatte er sie nie.
Er liebte seine Bank und die toten Staffords, Coleridges und Blacks, die sie gegründet hatten. Alles andere, einschließlich Aimee, war zweitrangig.
Dennoch hätte sie ihn niemals eines so widerwärtigen Manövers für fähig gehalten. Sie mit einem Fremden verheiraten zu wollen …
Allerdings war Nicolo Barbieri – Prinz Barbieri – kein Fremder mehr. Er war der Mann, mit dem sie leidenschaftliche Stunden verbracht hatte. In dessen Armen sie einen Höhepunkt nach dem anderen erlebt hatte.
Ohne seinen Namen zu kennen. Wie hatte sie nur so etwas tun können?
Übelkeit wallte in ihr auf. Aimee presste die Hand vor den Mund und rannte ins Bad, gerade noch rechtzeitig. Wenige Augenblicke später setzte sie sich bleich und zitternd auf den geschlossenen Toilettendeckel.
Himmel, sie fühlte sich miserabel! Es reichte ihr, sich ständig erbrechen zu müssen. Es reichte ihr, dass sie ständig müde war.
Wenigstens hatte sie heute einen Grund. Wer würde sich nach den heutigen Ereignissen nicht elend fühlen?
Dieser Widerling. Prinz Barbieri. Der Prinz der Dunkelheit, ja, das passte zu ihm. Er sah in ihr eine … eine …
Sie konnte das Wort nicht einmal denken.
Wie konnte er nur glauben, sie hätte ihn aus Kalkül verführt? Sich als Köder für das abscheuliche Vorhaben ihres Großvaters hergegeben?
Sie hatte mit Nicolo Barbieri geschlafen, weil … weil …
Aimee stöhnte auf und schlug die Hände vors Gesicht. Weil sie es gewollt hatte. Weil er der aufregendste Mann war, dem sie je begegnet war. Weil sie sich den ganzen Nachmittag erotischen Fantasien über ihn hingegeben hatte.
Und genau deshalb hatte sie auch keine Namen nennen wollen. Denn dann wäre diese Begegnung real geworden, und sie hätte sich in Grund und Boden geschämt für die Dinge, die sie miteinander getan hatten.
Die sie seit jener Nacht immer wieder mit ihm tun wollte.
Kein Wunder, dass er sie heute voller Verachtung angesehen hatte. Sie verachtete sich ja selbst. Aber zu glauben, sie hätte absichtlich …
Das Klingeln des Telefons ließ Aimee erschreckt zusammenzucken. Nein, sie wollte mit niemandem reden, vor allem nicht mit ihrem Großvater. Und wahrscheinlich war er es, der anrief, weil er wütend auf sie war. Sie hatte sein Büro ohne ein Wort verlassen, ohne auf seine Erklärungen zu achten.
Es klingelte weiter. Der Anrufbeantworter schaltete sich ein.
„Miss Black, Praxis Dr. Glassman hier. Ihre Laborergebnisse liegen vor. Bitte rufen Sie uns während der Sprechzeiten zurück, von acht Uhr bis …“
Aimee eilte zum Telefon und nahm ab. „Ich bin zu Hause! Ich meine, hier ist Miss Black.“
„Dann stelle ich Sie zu Frau Doktor durch.“
Aimee malte sich bereits die schrecklichsten Dinge aus. Ein Gehirntumor. Eine seltene Blutkrankheit. Oder … oh Gott, wieso hatte sie nicht früher daran gedacht? Die Art Krankheit, die heutzutage durch ungeschützten Sex übertragen wurde.
Nein, nicht das. Beim besten Willen konnte sie sich nicht vorstellen, dass der Prinz der Dunkelheit, ganz gleich, wie und was er sonst sein mochte, diese Art Krankheit hatte.
„Miss Black, Dr. Glassman hier …“
Aimee hörte zu. Und hörte weiter zu. Dann legte sie den Hö rer weg und starrte mit leerem Blick vor sich hin.
Sie hatte recht gehabt.
Nicolo Barbieri hatte sie nicht angesteckt.
Er hatte ihr ein Baby gemacht.
Stundenlang saß Aimee regungslos da, ohne zu merken, wie die Zeit verging.
Was sollte sie jetzt tun?
Sie war alleinstehend. Finanzierte ihren Lebensunterhalt durch Zeitarbeit, weil sie sich weigerte, Unterstützung von ihrem Großvater anzunehmen.
Kein Geld, keine Zukunft, ein winziges Apartment in einer wenig schönen Nachbarschaft …
Dieses Mal war es nicht das Telefon, das sie zusammenschrecken ließ, sondern die Klingel an der Haustür.
Aimee ignorierte es. Wer immer das sein mochte, er würde wieder gehen. Ein Paketbote, der Hausmeister, der einen Spion in der Wohnungstür einsetzen wollte. Darum hatte sie schon vor Monaten gebeten.
Das Klingeln hörte nicht auf. Wer auch immer da draußen war, er war jedenfalls hartnäckig.
Mit einem Seufzer stand Aimee auf und ging zur Tür. Schloss auf, nahm die Kette ab, zog die Tür einen Spaltbreit auf
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