Zaertlich beginnt die Nacht
vernachlässigen war nun wirklich nicht sein Stil. Nicolo stand auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Schließlich hatte er eine Firma zu leiten, und es gab Leute, die von ihm abhängig waren. Auch als frischgebackener Ehemann musste er wieder zu seiner Routine zurückfinden.
Erst würde er duschen und sich dann an den Computer setzen. Die Haushälterin musste bald aufstehen. Er würde sie bitten, Aimee in den Ablauf des Haushalts einzuführen. Danach konnte Giorgio Aimee in die Stadt fahren, zum Shoppen. Sie brauchte Garderobe. Oh ja, und er würde seinen Arzt anrufen, der ihm den besten Gynäkologen in ganz Rom empfehlen sollte.
Schluss mit dieser Nachlässigkeit. Nur weil er die Frau geheiratet hatte, die schwanger von ihm war, hieß das nicht …
„Nicolo?“
Abrupt drehte er sich um. Aimee saß aufrecht an die Kissen zurückgelehnt. Im fahlen Licht des Morgens konnte er die Unsicherheit in ihrem Blick erkennen, nahm das Bild von den wirren Locken in sich auf, sah das Heben und Senken ihrer Brüste unter seinem Pyjamaoberteil.
Das war seine Frau. Seine Aimee.
Jeder andere Gedanke verflüchtigte sich aus seinem Kopf. Etwas durchfuhr ihn, ein Gefühl, so mächtig, dass es ihm den Atem raubte.
„Ja, cara ?“ Lächelnd kam er zum Bett zurück und setzte sich auf den Rand. „Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken.“
Aimee strich sich das Haar aus dem Gesicht. „So lange wollte ich gar nicht schlafen.“
„Es ist noch sehr früh, die Sonne ist noch nicht aufgegangen. Ich …, ich konnte nur nicht mehr schlafen.“
„Jetlag“, mutmaßte sie mit einem kleinen Lächeln.
„ Si .“ Eine Zustimmung war einfacher, als ihr zu erklären, was ihn aus dem Bett getrieben hatte. Und was ihn wieder hierher zurückgeführt hatte. „Schlaf weiter, cara . Du brauchst Ruhe.“
„Nein, ich …“ Aimee brach ab und wurde bleich. „Oh Himmel!“ Damit sprang sie so abrupt aus dem Bett, dass Nicolo gerade noch Zeit hatte, zur Seite zu rutschen, und rannte ins Bad.
„Geh weg“, brachte sie noch hervor, als Nicolo ihr nachkam, und dann würgte sie sich über dem Waschbecken die Seele aus dem Leib.
Eine eiskalte Hand griff nach Nicolo. Sofort eilte er zu ihr und stützte sie, bis die Übelkeit sich gelegt hatte. Dann drehte er Aimee in seine Arme, ohne auf ihren Protest zu achten.
„Ich bringe dich ins Bett zurück“, sagte er streng. „Du bleibst liegen, bis der Arzt hier sein wird.“
„Ich bin nicht krank. Manche Frauen leiden eben während der Schwangerschaft unter morgendlicher Übelkeit.“ Mit einem unsicheren Lächeln sah sie zu ihm auf. „Mir geht’s wieder gut, sobald ich mich gewaschen habe.“
Natürlich hatte er von Morgenübelkeit gehört. Trotzdem zerrte es an seinen Nerven, Aimee so leiden zu sehen.
„Nicolo, bitte. Geh, damit ich mich waschen kann.“
Aimee beobachtete ihn, wie er überlegte und die Situation abschätzte – mit düsterem Blick und konzentrierter Miene. Ob er mit diesem Gesicht in seinem Büro saß, wenn er Entscheidungen traf?
Schließlich nickte er knapp, holte eine neue Zahnbürste aus einer der Schubladen, deutete auf einen Schrank, wo Aimee Handtücher finden würde. Und bevor er sich zurückzog, musste sie ihm hoch und heilig versprechen, ihn zu rufen, wenn sie Hilfe brauchte, und auch die Tür nicht zu verschließen, damit er im Notfall zu ihr eilen konnte.
Dann endlich war Aimee allein.
Sie duschte, wusch sich die Haare, putzte sich die Zähne, wickelte sich in das riesige Badelaken ein …
Und ermahnte sich konstant, nicht an den Mann zu denken, der dort im angrenzenden Zimmer wartete.
Ihr Mann. In dessen Arm sie die ganze Nacht geschlafen hatte. Eng an seiner Seite. Von ihm gewärmt. Allein durch seine Nähe getröstet.
Auch sie war wach gewesen, als er aufgewacht war. Zuerst hatte sie ihn das wissen lassen wollen, doch dann war ihr bewusst geworden, dass sie sich praktisch um ihn geschlungen hatte. Außerdem, … was sagte man denn zu einem Mann, der zwar der eigene Mann war, den man aber überhaupt nicht kannte?
„Guten Morgen“ schien da wohl eher dürftig.
Vor allem dann, wenn sie eigentlich nichts anderes wollte, als seinen Kopf mit beiden Händen zu fassen und zu sich heranzuziehen, ihn zu küssen, bis ihm Hören und Sehen verging, und ihm sagen, dass sie es sich anders überlegt hatte, dass sie nicht nur auf dem Papier seine Ehefrau sein wollte …
Aimee schloss die Augen und atmete tief durch. Mit etwas Glück würde Nicolo sich
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