Zaertlich ist die Nacht
waren, nie eine Nacht getrennt von ihr zugebracht hatte. Andererseits war er so zuvorkommend, dass man von seiner Gefälligkeit einfach Gebrauch machen musste. Wenn man solche Fähigkeiten besaß, blieb einem wohl gar nichts anderes übrig, als mitzuspielen und Leute an sich zu binden, auch wenn man gar keine Verwendung für sie hatte.
Aber jetzt war Dick völlig verhärtet und ließ mehrere Minuten ohne irgendeine vertraute Geste oder eine Bestätigung dafür verstreichen, dass er immer noch erstaunt und glücklich darüber war, dass sie bei ihm war.
Collis Clay aus dem Süden bahnte sich einen Weg durch die Tische und grüßte die Divers recht lässig. Solche Auftritte |136| irritierten Dick immer sehr – Bekannte, die einfach nur
»Hi!«
sagten oder mit einem von ihnen zu sprechen begannen, ohne den anderen zu beachten. Ihm waren Menschen so wichtig, dass er sich in Augenblicken der Apathie lieber gänzlich versteckte; und das jemand mit solcher Nachlässigkeit vor ihn hintreten konnte, stellte eine Herausforderung seiner ganzen Lebensart dar.
Collis, der gar nicht merkte, dass er kein »hochzeitlich Kleid« 1* anhatte, begleitete seine Ankunft mit den Worten: »Schätze, ich komme zu spät – der Vogel ist weggeflogen.«
Dick musste ziemlich würgen, ehe er Collis vergeben konnte, dass er Nicole nicht zuerst begrüßt und ein Kompliment gemacht hatte.
Nicole ging dann auch gleich; Dick blieb mit Collis allein und trank dabei seinen Wein aus. Er mochte den jungen Mann eigentlich – er gehörte zur Nachkriegsgeneration und war weniger schwierig als die meisten Südstaatler, die Dick vor einem Jahrzehnt in Yale kennengelernt hatte. Amüsiert hörte er zu, was Collis erzählte, während er mit aller Sorgfalt und Gemütlichkeit seine Pfeife stopfte. Es war jetzt früher Nachmittag und zahlreiche Kindermädchen zogen mit ihren Schützlingen in den Jardin du Luxembourg; seit Monaten hatte Dick sich diesen Teil des Tages nicht so entgleiten lassen wie heute.
Plötzlich gefror ihm das Blut in den Adern, als er bemerkte, was Collis da in seinem vertraulichen Monolog ausplauderte.
»… sie ist gar nicht so kühl, wie Sie vielleicht denken. Ich gebe zu, dass ich lange gedacht habe, sie wäre ganz kalt. Aber zu Ostern hat sie sich bei einer Reise von New York nach Chicago mit einem Kommilitonen von mir ganz schön in die Nesseln gesetzt. Sie hat diesen Hillis wohl schon in Yale |137| ziemlich knackig gefunden. Eigentlich hatte sie ein Abteil mit meiner Cousine, aber sie wollte wohl mit Hillis allein sein, und deshalb ist meine Cousine zu uns ins Abteil gekommen und hat mit uns Karten gespielt. Na ja, nach ungefähr zwei Stunden wollte ich sie wieder zurückbringen, und da standen Rosemary und dieser Bill Hillis im Gang und stritten sich mit dem Schaffner. Sie war so weiß wie ein Bettlaken. Wie es scheint, hatten sie die Abteiltür verriegelt und den Vorhang heruntergezogen, und ich schätze, es ging da drin heftig zu, als der Schaffner an die Tür klopfte und nach den Fahrkarten fragte. Sie dachten erst, dass wir es wären und sie bloß ärgern wollten, und haben ihn gar nicht hereingelassen. Als sie die Tür schließlich aufmachten, war er schon ziemlich sauer. Er fragte Hillis, ob das sein Abteil wäre und ob er und Rosemary verheiratet wären, weil sie die Tür verriegelt hatten. Hillis verlor die Nerven, als er zu erklären versuchte, dass sie nichts Unrechtes getan hätten. Er behauptete, der Schaffner hätte Rosemary beleidigt und wollte eine Prügelei mit ihm anfangen … Aber dieser Schaffner hätte ziemlichen Ärger machen können, und ich hatte ganz schöne Mühe, das auszubügeln, das können Sie mir glauben.«
Während er sich die Einzelheiten vorstellte, spürte Dick, wie eine Veränderung ihn erfasste, ja, er beneidete das Paar sogar um die gemeinsame Peinlichkeit vor dem Abteil. Das Auftauchen eines – wenn auch längst verschwundenen – Dritten in seiner Beziehung zu Rosemary genügte, um sein Gleichgewicht zu zerstören und Wellen von Schmerz, Verzweiflung, Begehren und Elend durch ihn hindurchzujagen. Die lebhafte Vorstellung einer Hand auf Rosemarys Wange, der beschleunigte Atem, die weiße Erregung bei der Betrachtung des Vorfalls von außen, die unantastbare, heimliche Wärme im Inneren.
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– Haben Sie etwas dagegen, wenn ich den Vorhang zuziehe?
–
Nein gar nicht, es ist hier drin viel zu hell.
Collis erzählte jetzt von den studentischen Gesellschaften in
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