Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
spät.«
»Oh!«
Er schnitt eine Grimasse. »Ersparen Sie mir Ihr Mitleid, Mädchen. Ich war damals ein Vollidiot. Mein Tod war ein Segen.«
»Ich bezweifle, dass das Ihre Mutter und Ihre Frau auch so gesehen haben.«
Er entgegnete nichts darauf. Erwiderte nur ihren Blick einen langen Moment, um sich dann umzudrehen und den Hof zu inspizieren. »Drei Tote. Ein sehr unglücklicher Verlust. Wie werden Sie das den Behörden erklären?«
»Gar nicht.« Kiyoko bückte sich und hob Takeos Katana auf. Es würde zerstört werden, zusammen mit seiner persönlichen Habe. »Alle, die sich für diesen Weg entschieden haben, wissen, dass sie nicht neben ihren Angehörigen begraben werden.«
»Sie verschwinden einfach?«
»Praktisch sind sie bereits an dem Tag verschwunden, an dem sie hierherkamen. Bei den meisten war das vor ein paar Jahren. Für die Außenwelt sind wir eine Kampfkunstschule, und ab und zu lassen wir zu einigen Unterrichtseinheiten auch die Öffentlichkeit zu, um zu verhindern, dass die Behörden neugierig werden.«
»Und was macht ihr mit den Verwundeten?«
Sie zeigte auf die Frau mittleren Alters, die im Staub neben dem einzigen Krieger kniete, der überlebt hatte. »Wir beschäftigen eine Ärztin, der eine voll eingerichtete Krankenstation zur Verfügung steht. Und viele unserer
senshi
sind ausgebildete Sanitäter.«
Das Handy an Murdochs Hosenbund vibrierte. Er zog es heraus und sah auf das Display. »Ihr solltet euch einen Magier zulegen.«
Kiyoko schüttelte den Kopf. »Heilzauber sind sehr schwer durchzuführen, und die wirksamsten erfordern einen begabten Fachmann. Leider gibt es zu wenige echte Zauberheiler auf der Welt. Wir hatten jedenfalls noch nicht das Glück, einen zu finden.«
»Sie wissen sehr viel über Magie«, sagte er stirnrunzelnd, während er neben einem gefallenen
senshi
niederkniete.
Neugierig beobachtete ihn Kiyoko. »Unser Zweig des Onmyōji studiert und praktiziert seit Jahrhunderten die mystischen Künste. Zudem war mein Vater ein Nachkomme von Abe no Seimei selbst. Daher haben wir Zugang zu vielen seiner magischen Bücher.«
Murdoch legte die Hand auf den Nacken des Toten. Das dunkelrote Blut, das noch immer aus der tödlichen Wunde sickerte, schien er gar nicht zu bemerken. Er schloss die Augen.
Es hätte wie ein einfaches Gebet aussehen können, aber Kiyoko wusste, dass er die Seele des Kriegers holte. Einmal, als sie und Lena Sharpe noch miteinander gesprochen hatten, hatten sie über die Seelenkollekte geredet. Lena hatte sie als fedrige Wärme beschrieben, die ihren Arm hinauffloss und sich um ihr Herz legte.
»Kiyoko-san.«
Sie blickte nach links. Sora stand im Eingang zum Dōjō. Das silberweiße Haar floss seinen Rücken hinab, die Hände hatte er in den langen Ärmeln seiner schwarzen Robe gefaltet. Er wirkte wie der Inbegriff der Gleichmut.
»Ja, Sensei?«
»Dies ist in höchstem Maße bestürzend.«
Sie nickte. »Unsere Vorsichtsmaßnahmen waren nicht ausreichend.«
»Vorsichtsmaßnahmen?« Murdoch ging zu einer zweiten Leiche. »Welche Vorsichtsmaßnahmen?«
»Die beiden steinernen
niou
am Tor haben die Aufgabe, zu verhindern, dass das Böse die Schwelle zum Trainingsgelände überschreitet«, erklärte Kiyoko. »Und doch konnte Takeo es gestern problemlos betreten.«
»Was bedeutet, dass er entweder noch nicht vom Bösen befallen war, als er eintrat, oder einen Weg gefunden hat, Ihren Grenzzauber zu deaktivieren.«
Sie nickte wieder. »Letzteres ist am wahrscheinlichsten.«
»Können Sie den Grenzzauber verstärken?«
»Dieser spezielle Zauber hat uns jahrhundertelang gute Dienste geleistet«, gab sie zurück. »Ich muss meine Zauberbücher zu Rate ziehen, um herauszufinden, ob es etwas Stärkeres gibt. Ich werde Watanabe-san benachrichtigen, dass ich heute unmöglich in die Stadt kommen kann.«
»Unsinn!« Sora stieg zum Hof hinunter. Dabei schleifte der Saum seiner Robe geräuschlos über die hölzernen Stufen. »Geh nur. Das Lager wird auch diesen Tag ohne deine Anwesenheit überstehen. Dafür zu sorgen, dass das Unternehmen deines Vaters nicht der Korruption anheimfällt, ist genauso wichtig wie jede andere Aufgabe, die dir aufgetragen ist. Die dunklen Kräfte aufzuhalten kann auf vielerlei Arten geschehen.«
Kiyoko blinzelte. Sora war normalerweise der Erste, der sie an ihre Verpflichtung gegenüber den Onmyōji erinnerte. »Sind Sie sicher?«
»Der Firmenwagen wartet bereits am Tor«, entgegnete er mit einem angedeuteten Achselzucken.
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