Zaertliche Brandung - Roman
lieben.«
»Aber das ist es ja. Ich weiß noch, wie sie früher war. Ich war erst acht, doch als meine Großeltern gestorben sind und sie ihr Baby verloren hat, wurde das Licht in ihr schwächer. Und vor fünf Jahren, als wir den Unfall hatten«, sagte sie, nach ihrem rechten Knie fassend, »da ist das Licht fast vollständig erloschen. Aber ein kleines Fünkchen ist noch vorhanden. Ich weiß es. Ich sehe manchmal eine Andeutung … wenn wir zusammen segeln, beispielsweise.«
»Ja. Ich habe es auch gesehen. Auf unserer Fahrt hierher. «
»Sie braucht jemanden, der diesen Funken wieder zum Leben erweckt und ihn nährt.«
»Und ich soll dieser Jemand sein?«
»Ja.«
Sam lehnte sich an die Tür und studierte seine überzeugend plädierende Fahrerin.
»Was lässt dich so sicher sein?«
»Ihr Großvater hat oft und sehr ausführlich von seinen ›drei Jungen‹ gesprochen, daher war mir bald klar, dass von seinen Enkeln Sie derjenige sind, der Abram am ähnlichsten ist. Waren er und Tante Willa beisammen, waren sie immer wie Feuer und Wasser. In den sechs Wochen, die Ihr Großvater hier verlebt hat, habe ich gesehen, wie Tantchens Funke einige Male tatsächlich
zur Flamme wurde. Abram Sinclair war der erste Mensch, dem sie seit Jahren nahekam.«
»Und ist sie dir nicht nahe? Und Emmett? Und deiner Mutter und deinem Bruder?«
»Natürlich ist sie das, aber nur, weil es sich so ergibt und weil sie nicht aufhören kann, uns zu lieben.« Sie senkte den Blick und schüttelte den Kopf.
»Ich glaube, es war okay, dass Abram starb, weil sie wusste, worauf sie sich einließ, und wusste, dass es geschehen würde. Aber Gott behüte, wenn einem von uns etwas zustößt … ich weiß nicht, ob sie noch eine Tragödie überleben würde.«
Sam, der völlig vergaß, dass er es mit einer Sechzehnjährigen zu tun hatte, fragte:
»Wieso glaubst du, dass Willa nicht völlig durchdreht, wenn sie auch noch Mann und Kind hat, um die sie sich sorgt?«
Jennifer seufzte.
»Meine eigenen Eltern haben zwar keine … sehr harmonische Ehe geführt, aber ich kenne schöne Beispiele für die Macht wahrer Liebe. Emmett hat seine Frau Gretchen vor etwas mehr als drei Jahren durch Krebs verloren. Von ihnen habe ich gelernt, dass alles möglich ist, auch allein weiterzuleben, wenn zwei Menschen einander so innig lieben. Emmett vermisst Gretchen sehr schmerzlich, aber jeder Atemzug seit ihrem Tod war seither mit ihrem Geist erfüllt.«
Sie hob ihr schönes kleines Kinn genauso wie Willa.
»Ich selbst werde mich mit nichts weniger als einer solchen Liebe begnügen. Und ich werde nicht zulassen, dass meine Tante sich für den Rest ihres Lebens davor versteckt. Ich habe bei diesem Unfall zwar meinen Fuß verloren, aber sie war es, die zum Krüppel wurde.« Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Arm.
»Sam, Sie sind meine einzige Hoffnung. Bitte, werden Sie mir helfen, ihr zu helfen?«
Sam starrte in Augen, deren Verzweiflung tief wie der Ozean und alt wie die Erde war, und plötzlich konnte er nicht mehr atmen, geschweige denn sprechen.
»Abram hat Ihnen das wirkungsvollste Mittel in die Hand gegeben, Sam. Sein Testament ist Ihre Trumpfkarte, wenn Sie bereit sind, sie auszuspielen.«
»Es ist auch mein größtes Hindernis, Jennifer. Willa glaubt, ich will sie heiraten, damit ich die Firmenanteile bekomme und unser Anwesen behalten kann.«
Er erstarrte, als wieder einige Puzzleteile unerwartet ihren Platz fanden.
»Mein Gott … entfuhr es ihm, »du hast Abram geholfen, das Testament aufzusetzen.«
Sie wich seinem Blick aus.
»Ich habe doch keine Ahnung von diesem juristischen Zeug.«
»Nein, aber du kennst Willa. Du wusstest, dass sie Tidewater niemals in die Hände eines Mannes fallen lassen würde, dessen Absicht es ist, das Unternehmen zu zerschlagen. Du hast meinem Großvater geholfen,
sein Testament so abzufassen, dass Willa ihr Gewissen nicht übergehen konnte.«
Jennifers Gesichtsausdruck war rebellisch, als sie ihn wieder anschaute.
»Sie hat einen Tritt in den Hintern gebraucht! Sie haben ja keine Ahnung, wie das Leben für mich in den vergangenen Jahren war. Schuldgefühle können sehr ansteckend wirken.« Sie schlug sich auf die Brust.
»Wie soll ich mein Leben weiterführen, wenn meine Tante ihres nicht meistert? Ich werde nie frei sein, ehe sie nicht frei ist.«
Sam hatte nie bedacht, was Willas Selbstvorwürfe für ihre Umgebung bedeuteten. Natürlich würden alle, die sie liebten, mit ihr leiden – ganz
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