Zärtliche Wildnis
wenn das Haus verkauft und die Möbel entweder nach Windythorpe geschickt oder ebenfalls verkauft waren, könnte sie kommen, vielleicht schon in einem Monat. Ob ihnen das passen würde?
Alle bejahten mit Entschiedenheit, und ihre Erleichterung und Freude waren unverkennbar. Nur die Stimme von Mrs. Cooke war vernehmbar, die in gedämpftem Ton zu ihrer Nachbarin sagte: »Aber Sie kennen sie doch gar nicht. Sie haben sie praktisch auf der Straße aufgelesen. Sie haben keine Ahnung, aus was für einer Familie sie stammt.« Doch die Nachbarin brachte sie eilig zum Schweigen und erklärte, man könnte doch auf den ersten Blick sehen, daß Liz ein nettes, anständiges Mädchen sei, und ermahnte Ada Cooke, nun doch nicht alles zu verpatzen. Und die Frau, die auf der anderen Seite von Mrs. Cooke saß, versetzte weniger freundlich: »Sie haben ja von Tuten und Blasen keine Ahnung. Sie haben ja keine Kinder.« Daraufhin versank Mrs. Cooke in beleidigtes Schweigen.
Es stellte sich heraus, daß es sich um zehn Kinder zwischen drei und fünf Jahren handelte, von denen jedoch nur drei Vorschulunterricht brauchten, da die anderen noch zu jung dazu waren. Liz’ Gesicht hatte sich gerötet vor Eifer und Erwartungsfreude, und im Schein des Feuers sah sie ausgesprochen hübsch aus. Die Frauen betrachteten sie mit Wärme und wachsender Zuneigung. Mrs. Cookes Bedenken waren ganz unsinnig; sie konnten sich selbst ein Urteil bilden, und man sah auf den ersten Blick, daß sie ein liebes Ding war und gar nicht eingebildet, trotz ihrer hübschen Kleider und ihrer modischen Frisur. Eine der Frauen fragte jedoch zweifelnd: »Werden Sie sich auch nicht einsam fühlen, so ganz allein auf dem Land, ohne Ihre alten Freunde? Wenn man jung ist, will man doch Abwechslung haben.«
»Ich werde genug Abwechslung haben«, erwiderte Liz unerschüttert. »Und Freunde habe ich sowieso kaum.« Aber dann hätte sie beinahe gelacht, als sie den vielsagenden Blick sah, den Mrs. Cooke ihren Nachbarinnen zuwarf. Sie hält mich wahrscheinlich für eine Abenteuerin, dachte Liz. Ach, ist das herrlich. Das würde Kay gefallen.
Um jedoch alle Befürchtungen zu beschwichtigen, fuhr sie fort: »Sehen Sie, meine Mutter war lange Zeit krank, und sie mochte junge Menschen nicht. Deshalb konnte ich meine Schulfreundinnen nie nach Hause einladen, und wenn man sich fast nie sieht, verliert man schnell den Kontakt. Zwei Jahre lang sah ich fast keinen Menschen. Deshalb fehlen mir meine Freunde eigentlich gar nicht. Außer Kay natürlich, und sie werde ich eines Tages bestimmt wieder aufstöbern.«
Ein Murmeln der Freude und der Teilnahme quittierte ihre Worte, und Liz war glücklich. Sie hatte endlich ihre Scheu überwunden. Kay würde sie nicht wiedererkennen. Es war fast so, als wäre Elizabeth verschwunden und Liz an ihre Stelle getreten.
Es dauerte lange, bis das Gespräch schließlich versiegte, und selbst dann war Elizabeth viel zu erregt, um schlafen zu können. Die Frauen nickten allmählich ein, entweder aneinandergelehnt oder an die Wand gesetzt. Jessie Wheeler lehnte sich an die Wand, und gegen Morgen erwachte Liz, den Kopf auf dem Schoß dieser freundlichen Frau. Im kalten Licht der Morgendämmerung stiegen ganz natürlich einige Zweifel in ihr auf. Hatte sie vielleicht alles nur geträumt? Hatte sie gestern nacht voreilig gehandelt? Schließlich kannte sie ja diese Frauen kaum, und während sie die schlafenden Gestalten musterte, schien keine von ihnen sonderlich anziehend. Aber dann fragte sie sich, wie sie selbst wohl gerade aussehen mochte, und das brachte sie wieder ins Lot. Wenn diese Frauen ihr trauten, dann konnte und wollte auch sie ihnen trauen. Sie hatte sie in einer höchst unangenehmen Situation erlebt, und keine von ihnen hatte gemurrt, außer natürlich Mrs. Cooke, die sie bereits als Außenseiterin betrachtete. Die anderen waren jedoch rührend nett zu ihr gewesen. Und das war schließlich das Wichtigste.
Dann wandten sich ihre Gedanken natürlich wieder Kay zu, und sie kicherte leise vor Belustigung. Wie zornig sie sein würde, wenn sie wüßte, daß Liz sich entschlossen hatte, aufs Land zu ziehen, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagten, um ohne Entgelt ein paar kleine Kinder unter ihre Fittiche zu nehmen. Kilometerweit entfernt von der sogenannten Zivilisation und von jungen Menschen. Einen Moment lang hatte sie ein schlechtes Gewissen, als sie daran dachte, was für ehrgeizige Pläne ihre Freundin für sie gehegt hatte; eine Reise auf die
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