Zärtlicher Eroberer
geliebt. Das zweite: Er hatte sie heiraten wollen. Und das dritte: Er war zurückgekehrt und hoffte, ihr den Hof machen zu können, um sein schlechtes Benehmen von damals wiedergutzumachen. Ja, das waren die drei Dinge, die sie am liebsten geglaubt hätte.
Doch da waren auch die bedrückenden Tatsachen. Tat sache Nummer eins: Er hatte ganz offen zugegeben, ihre kleine affaire wäre für ihn nichts weiter gewesen als ein flüchtiges Abenteuer. Wahrheit Nummer zwei: Er hatte nie vorgehabt, sie zu heiraten. Schon an jenem Abend hatte er gewusst, dass er zu seinem Onkel reisen würde. Wie sonst hätte sich sein überstürzter Aufbruch erklären lassen? Nein, er musste das schon monatelang vorher geplant haben, vielleicht sogar schon vor ihrer kurzlebigen Beziehung.
Die dritte Tatsache: Er hatte ihren Vater nie darum gebeten, ihr den Hof machen zu dürfen, und er hatte auch ganz sicher nie um ihre Hand angehalten. Wenn das der Fall gewesen wäre, hätte ihr Vater ihr das gesagt, davon war sie fest überzeugt.
Tatsache Nummer vier: Während seiner Abwesenheit hatte er nie versucht, Kontakt zu ihr oder zu Beldon aufzunehmen.
Und die letzte Tatsache: Er war zurückgekehrt mit einem Ruf, der genau zu dem Verhalten passte, das er in jener Nacht im Garten der Rutherfords gezeigt hatte.
Unter dem Strich sprach alles gegen ihn. Mit Ausnahme weniger, flüchtiger Momente gab es nichts, was das Verhalten bestätigte, das sie von ihm sehen wollte. Nichts unterstützte die in der Märchenspalte aufgelisteten Punkte. Alles bekräftigte die Tatsachen, sowohl die aus der Vergangenheit als auch die der Gegenwart. Die Wahrheit lautete, dass Valerian Inglemoore ein Frauenheld war – ein sehr erfolgreicher noch dazu. Warum also war es derart schwer, ihm zu widerstehen, selbst wenn man die Realität so deutlich vor Augen hatte? Und warum hatte sie solche Mühe damit, diese zu akzeptieren?
War es möglich, dass Valerian noch eine andere Seite hatte, die er bewusst verborgen hielt? Eine Seite, die er vielleicht nicht an den Tag legen durfte? Es konnte Gründe für diese Maske geben, Gründe, die mit seiner Arbeit zu tun haben mochten.
Philippa zog einen weiteren Briefbogen hervor. Sie hatte Freunde in den politischen Kreisen, die das für sie herausfinden konnten. Alles Wunschdenken einmal beiseitegelassen – plötzlich erschien es ihr von vorrangigster Wichtigkeit, Gewissheit über Valerian Inglemoore zu bekommen.
Philippa streute Löschsand über den Brief und legte ihn dann, von wachsenden Schuldgefühlen geplagt, zur Seite. Sie hatte kein gutes Gefühl bei diesen Nachforschungen. Ihr war, als spionierte sie ihm nach, als handelte sie hinter seinem Rücken. Nein, diesen Brief wollte sie nicht abschicken, jedenfalls vorerst noch nicht. Jetzt, da ihr anfänglicher Zorn allmählich abgeebbt war, wurde ihr langsam klar, dass sie wenig unternommen hatte, den Mann kennenzulernen, zu dem Valerian geworden war.
Ehe sie einen hinter seinem Rücken nachforschenden Brief abschickte, sollte sie erst einmal die direkteren Möglichkeiten ausprobieren, die ihr zur Verfügung standen. Schließlich nahm sie die Mahlzeiten mit Valerian zusammen ein, und dann gab es ja auch noch den Ausflug zu Vikar Trist in Veryan am morgigen Tag, wenn Lucien seine Bitte um einen Besuch gestattet wurde. Das waren hervorragende Gelegenheiten, selbst herauszufinden, wie die Wahrheit aussah.
Der Abend verlief entspannt im Vergleich zu den beiden vorangegangenen. Viele der Gäste, die nach dem Silvesterball über Nacht geblieben waren, hatten sich am Nachmittag auf die Heimreise gemacht. Außer Beldon und Valerian waren nur zwei Ehepaare geblieben, ein gewisser Lord Trewithen und seine Frau sowie der ältliche Lord Pentlow mit seiner Gemahlin aus Penwith, die Freunde von Luciens Vater waren.
Mit Ausnahme des sonderbaren Mr. Danforth kannte Philippa die anderen Gäste aus den gesellschaftlichen Kreisen in Cornwall, in denen sie während ihrer Ehe verkehrt hatte. Es war ihr daher ein Leichtes, das Gespräch während des Essens in Schwung zu halten, und sie verbrachte eine angenehme Zeit mit den beiden anderen Damen im Musikzimmer, während die Herren ihren Portwein tranken.
Später gesellten sich die Männer zu ihnen, um Karten zu spielen. Philippa und Beldon boten den Trewithens eine Partie Whist an. Am anderen Ende des Musikzimmers saß Lucien bereits in der Sitzecke und unterhielt sich angeregt mit Danforth und Pentlow, wodurch Philippa sich vor die Frage gestellt
Weitere Kostenlose Bücher