Zärtlicher Eroberer
Freiheit gestorben, nur weil England die Entstehung einer neuen, großen und christlichen Nation nicht tolerieren wollte, die möglicherweise Osteuropa mächtiger werden lassen würde.
Valerian kämpfte gegen seine Trauer an, die ihn beim Gedanken an den großen Verlust befiel – Natasha, die im Unterholz verblutete, der Junge, der vergeblich gegen doppelt so große Männer kämpfte, Dimitris, der zusammen mit anderen Anführern zwei Tage später in einem grausamen Racheakt der Türken hingerichtet wurde.
Er vermutete, dass er in jener Nacht wahrscheinlich Verrat begangen hatte, als er die türkischen Verbündeten getötet hatte, um Natasha zu retten. Aber das war ihm ziemlich gleichgültig, nachdem die Motive Englands, die Türken zu unterstützen, von reiner Geldgier geprägt waren. Er hatte seine Pflicht getan, indem er versucht hatte, einen Frieden auszuhandeln. Danach hatte er seine Pflicht Dimitris gegenüber erfüllt und die beiden anderen Kinder in vorübergehende Sicherheit gebracht. Er hoffte, dass das reichte.
Das war der Beginn eines Patts zwischen den Großmächten in dieser Region; jeder setzte den anderen schachmatt bei seinen Vormachtsbestrebungen. Damals hatte Valerian auch angefangen, sich keine Illusionen mehr über die diplomatische Arbeit zu machen. Diplomatie war keine Chance, wie er ursprünglich geglaubt hatte, die Geschichte zu beeinflussen und eine Spur in der Welt zu hinterlassen.
Seine restliche Zeit auf dem Kontinent war die Erfahrung eines ständigen Verschiebens von Loyalitäten, als die Briten versuchten, einer russischen Einflussnahme im Osmanischen Reich zuvorzukommen und die Fäden in der Hand zu behalten. Gegen Ende der Auseinandersetzungen verlagerte sich das Gleichgewicht der Mächte wieder. England hatte die Herrschaft über Zypern übernommen und brauchte die Türkei nicht mehr, um die Schifffahrtswege kontrollieren zu können. Ein weiterer Beweis dafür, dass Dimitris für nichts und wieder nichts gestorben war, nicht einmal für die Schifffahrtswege der Nachwelt. Der Grund, warum Dimitris’ Traum zerschlagen worden war, hatte sich als ein vorübergehender herausgestellt. Die Allianz mit den Türken hielt nämlich nur noch wenige Jahre, bis England sein Ziel erreicht hatte.
Valerian fand, wenn er ein Vermächtnis hinterlassen sollte, dann im Wissen um die Schönheit seiner Gärten, in denen es nur Leben und Frieden gab, und im Bewusstsein eines Kindes, das er in dieser Vorstellung großziehen wollte. Doch dazu brauchte er eine Ehefrau. Er brauchte Philippa.
Am kommenden Nachmittag würde sie in Roseland sein. Sie hatte seine Einladung angenommen, zweifellos, weil er versprochen hatte, dass auch Beldon anwesend sein würde. Er hatte ihr vieles in seinem Brief versprochen, alles nur, damit sie kam und er die Chance erhielt, ihr zu beweisen, wie er wirklich war.
Er war ein Mann der Tat, aber in seiner Verzweiflung, sie für sich zu gewinnen, hatte er alles falsch gemacht. Er war viel zu überstürzt vorgegangen. Er kannte seine Geschichte, sie hingegen nicht. Sie brauchte Zeit, ihn wieder kennenzulernen und ihm so zu vertrauen wie früher einmal.
Philippa faltete seufzend Valerians Brief zusammen und verstaute ihn wieder in ihrem Retikül. Sie musste von Sinnen sein, die Einladung angenommen zu haben. Damit forderte sie alle möglichen Verrücktheiten geradezu heraus. Sie und Valerian hatten doch bewiesen, dass sie sich nicht vernünftig verhalten konnten, wenn sie miteinander allein waren. Die wenigen Male, als das der Fall war, hatten zu allerlei Unheil geführt. Und doch war sie jetzt hier. Sein Brief hatte irgendwie traurig geklungen, wie ein Appell eines Freundes an einen anderen, und sie hatte sich nicht in der Lage gesehen, Valerian eine Absage zu erteilen.
Philippa sah aus dem Kutschenfenster. Wenn sie sich richtig erinnerte, war sie fast am Ziel. Der hohe, eckige Turm der St.-Justus-Kirche kam in Sicht, und von dort aus war es nur noch eine Meile bis Roseland. Philippa war erst einmal dort gewesen, unmittelbar nach dem Tod von Valerians Eltern. Ihre Familie reiste an, um ihm zu helfen, seinen Besitz zu ordnen. Sie war damals erst zwölf gewesen, aber sie erinnerte sich noch überraschend gut an diese Fahrt. Die Straße führte in südlicher Richtung am Friedhofstor vorbei, an einem Flüsschen entlang und dann noch über einen letzten Hügel, bis man die großzügigen Park- und Gartenanlagen von Roseland erreichte.
Auf den ersten Blick wirkte Roseland so, wie
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