Zärtlicher Eroberer
Venedig!‘“
„Doch Valerian blieb der Freund eurer Familie?“, fragte Philippa nach, denn es interessierte sie, was ihn dazu veranlasst hatte, die private Freundschaft fortzusetzen.
„Bis zum bitteren Ende. Er hat alles für uns riskiert. Ohne ihn wären wir in jener letzten Nacht nicht mehr am Leben.“ Ein Schatten fiel über ihr Gesicht.
Philippa bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie das Thema berührt hatte. Vielleicht war das zu aufdringlich gewesen, nach erst so kurzer Bekanntschaft. Sie hätte noch viel mehr fragen wollen, hielt sich aber zurück. „Ihr seid müde, und Valerian wird noch eine Weile fort sein. Er ist mit meinem Bruder zu einem Erfinder geritten. Vielleicht wollt ihr ein wenig ausruhen?“ Sie ging in Gedanken schnell die Schlafzimmer im oberen Stock durch. Eins davon war erst vor wenigen Tagen fertig gestrichen und neu eingerichtet worden. Sie würde die Bediensteten bitten, den Flügel mit den Kinderzimmern für den Jungen herzurichten. Es würde ihn sicher freuen, Herr über ein eigenes kleines Reich zu sein.
Lilya machte ein erleichtertes Gesicht. „Gern, wir haben sehr anstrengende Wochen hinter uns.“
„Habt ihr irgendwelches Gepäck dabei?“, erkundigte Philippa sich. Ganz gleich, in welcher Beziehung dieses Mädchen und dieser Junge zu Valerian standen, sie konnte die beiden nicht einfach fortschicken in dem Wissen, dass es sonst keinen anderen Ort gab, wo sie hätten hingehen können.
Lilya nickte. „Es befindet sich im Wirtshaus an der Postkutschenstation.“
„Ich werde es holen lassen, zum Abendessen ist es dann hier. Bis dahin fragt einfach nach allem, was ihr braucht“, bot Philippa großzügig an und führte die beiden nach oben.
Das soeben fertig gewordene zartgrüne Zimmer am Ende des Flurs war genau das Richtige für Lilya. Durch einen kleinen Salon gelangte man in ein großes, luftiges Schlafgemach, von dem aus man einen Blick über Valerians berühmten Kräutergarten hatte. Philippa öffnete die hohen Fenster, um den frischen Lavendelduft von unten in den Raum zu lassen. Lilya war begeistert.
„Und für dich, Konstantin, lasse ich den Kinderzimmerflügel herrichten, wenn du möchtest.“ Philippa hatte sich nun an den Jungen gewandt. Ihr Neugier brachte sie fast um. War dieser ernsthafte Junge mit seinen dunklen Haaren womöglich Valerians Sohn? Und wenn ja, ergaben sich daraus gleich unzählige neue Fragen, vor allem die, wer und wo seine Mutter war.
Er nickte dankbar, und Lilya erklärte rasch, dass sein Englisch nicht besonders gut sei. Sie zuckte anmutig die Achseln. „Ich habe ihm beigebracht, so viel ich konnte, aber …“ Sie verstummte, und Philippa vermutete, dass sich für geregelten Unterricht wohl kaum Muße gefunden hatte, wenn man ständig gezwungen war, aus Kriegsgebieten zu fliehen. Auch kam ihr der Gedanke, dass sich die Zeiten für diese frühere herrschende Elite geändert haben mussten. Andere Sprachen als die einheimischen Dialekte zu beherrschen hätte die unerwünschte Aufmerksamkeit auf zwei Menschen ziehen können, die wahrscheinlich gute Gründe dafür hatten, unauffällig zu bleiben.
Philippa ließ sie allein im Zimmer zurück. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Beldon und Valerian kamen in frühestens zwei Stunden zurück. Nach dem Gespräch mit Lilya fühlte sie sich auch ein wenig erschöpft und hätte sich selbst gern eine Weile hingelegt, aber es gab noch zu viel zu tun, bis Valerian zurückkehrte.
Außerdem kannte sie sich – wenn sie sich jetzt hinlegte, würde sie ohnehin keinen Schlaf finden, dazu ging ihr zu vieles im Kopf herum. Also war es sicher besser, wenn sie in Bewegung blieb. In Gedanken stellte sie rasch eine Liste mit noch zu erledigenden Aufgaben zusammen. Zuerst wollte sie den Handwerkern im Musikzimmer sagen, dass sie bis vier Uhr fertig zu sein hätten. Bei Valerians Rückkehr sollte es ruhig und friedlich im Haus sein. In diesem Zusammenhang erstattete sie Steves kurz Bericht und trug ihm auf, Valerian einen Stallburschen entgegenzuschicken. Rasch schrieb sie eine kurze Nachricht auf, die der Junge für ihn mitnehmen sollte. Sicher war es Valerian lieber, wenn er vorgewarnt wurde.
Danach begab Philippa sich in die Küche, um der Köchin Bescheid zu sagen, dass zwei Gäste zum Abendessen da sein würden. Sie ordnete an, den Tisch mit dem feinsten Porzellan zu decken und den besten Wein zu servieren.
Schließlich ging sie wieder nach oben, um sich zu vergewissern, wie die Dienstmädchen mit dem
Weitere Kostenlose Bücher