Zärtlicher Hinterhalt
Während sie Tassen und Untertassen verteilte, fragte Mrs. Trenchard: »Und wie gefällt Ihnen Ihre neue Gesellschafterin, Ladys?«
Tante Isabel wandte sich an Tante Ethel. »Was hat sie gesagt?«
»Sie will wissen, ob wir Miss Setterington mögen«, antwortete Tante Ethel lautstark.
»Natürlich mögen wir sie.« Tante Isabel lächelte Hannah verschmitzt zu. »Schließlich kennt sie die Königin.«
Hannah grinste zurück.
»Sie ist ein bezauberndes Mädchen«, befand Tante Ethel.
»Und so freundlich.«
Dass Tante Spring sie loben würde, war vorauszusehen gewesen. Hannah mutmaßte, dass Tante Spring kaum je von irgendwem schlecht sprach. Trotzdem wurde ihr warm ums Herz.
»Sie wird ihre Sache gut machen«, diagnostizierte Miss Minnie.
Ein Lob, das Hannah mit Stolz erfüllte.
Mrs. Trenchard verteilte die Kuchenteller. »Miss Setterington, Sie haben die Damen, wie es scheint, für sich gewonnen. Und recht schnell zudem!«
Dieses Lob klang in Hannahs Ohren halbherzig. Vermutlich war die Haushälterin froh, die anstrengende Pflicht, sich um Tante Spring zu kümmern, los zu sein; andererseits wünschte sie sich wohl, nicht so leicht ersetzbar zu sein. Hannah konnte sie verstehen. Seit sie die Vornehme Akademie der Gouvernanten übergeben hatte, hatte sie sich schon manches Mal mit Schamröte gewünscht, Adorna möge die Leitung der Akademie nicht ganz so leicht von der Hand gehen.
Also sagte sie: »Ich würde mich gerne mit Ihnen über Ihre Gepflogenheiten unterhalten und darüber, wie ich Miss Spring und ihren Damen perfekt zu Diensten sein kann.«
»Ich wäre erfreut, Ihnen behilflich zu sein.« Mrs. Trenchard lächelte und war offensichtlich erfreut über Hannahs Respekt. »Möchten Sie, dass ich bleibe und serviere?«
»Sie haben doch so viel zu tun, liebe Judy.« Tante Spring legte der Haushälterin den Arm um die Schulter. »Wir bedienen uns selbst, und Sie kehren zu Ihren Pflichten zurück. Ich weiß, wie beschäftigt Sie am Waschtag sind.«
»Vielen Dank, Miss Spring.« Mrs. Trenchard stand steif in Tante Springs Umarmung, zögerte zu gehen und nahm befriedigt zur Kenntnis, wie die Damen Hannah einen Kuchen nach dem andern empfahlen.
Miss Minnie reichte den Tee, der schlicht perfekt war: heiß, von tiefem Bernsteingold und duftend. Die Kuchen und Sandwiches schmeckten köstlich, ohne Zweifel auch einer Königin … Hannah musste sich am Riemen reißen. Es war doch heller Wahnsinn, die Königin ins schäbige Castle Raeburn zu locken, irgendeines Krimskrams wegen, den vier exzentrische alte Damen für sie fabriziert hatten. Was
hatte
Dougald sich nur dabei gedacht?
Sie nippte am Tee. »Wann darf ich denn sehen, was Sie der Königin präsentieren wollen?«
Die Damen sahen einander an und stellten die Tassen ab.
»Also gut, wenn Sie möchten«, sagte Tante Spring.
Umgehend war Mrs. Trenchard vergessen, und sie schoben Hannah zu der langen, mit Purpursamt verkleideten Wand. Die Haushälterin räumte das Teegeschirr ab und betrachtete Hannah und die Tanten halb sehnsüchtig, halb erleichtert – und sehr schuldbewusst. Dann schob sie den Teewagen zur Tür hinaus.
Tante Ethel und Tante Isabel nahmen je einen der Vorhangzüge zur Hand und warteten bibbernd auf Instruktionen.
»Sind Sie bereit, Miss Setterington?«, fragte Tante Spring.
Bereit für was?,
fragte sich Hannah und nickte.
»Los«, kommandierte Tante Minnie.
Tante Isabel und Tante Ethel zogen den schweren Vorhang zur Seite und enthüllten einen Wandteppich.
Nicht irgendein beliebiges Stück – indessen einen riesigen, meisterhaft komponierten, kunstfertig gewobenen Gobelin, der Queen Victoria zeigte in ihrem Krönungsornat mit Prinz Albert an ihrer Seite.
Hannah betrachtete das Gebilde andächtig, und als sie sich so weit gefangen hatte, dass sie den Mund wieder schließen konnte – schaute sie immer noch voller Ehrfurcht hin. Das Werk maß in der Höhe vielleicht zehn Fuß und sechzehn in der Breite, es füllte die ganze Wand und das Auge mit seinem Farbenrausch. Das hier war nicht einer der Bildteppiche von Bayeux, mit ihren Kriegs- und Eroberungsszenen, sondern ein Tribut an die modernen Zeiten in der vergessenen Kunstfertigkeit vergangener Tage. Diese vier Ladys, diese schwächlichen, schwerhörigen, vergessenen alten Frauen, hatten mit ihren Webstühlen eine Großtat vollbracht.
Hannah stand still vor ihrer Virtuosität und Ausdauer.
Mittlerweile tänzelten die schwächlichen, schwerhörigen, vergessenen alten Frauen vor
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