Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
An diesem Abend sah Harry atemberaubend gut aus in seiner Abendgarderobe mit weißer Krawatte. Und er bewegte sich und unterhielt sich mit derselben charismatischen Natürlichkeit, mit der er scheinbar alles tat.
Miss Marks kehrte zu Poppy zurück, als Beatrix mit einem blonden Jüngling im Trubel Walzer tanzender Paare verschwand. »Wie geht es …«, begann sie, hielt jedoch abrupt inne. Sie sog den Atem scharf durch die Nase ein. »Verdammt und zugenäht!«, flüsterte sie. »Er ist da.«
Poppy hatte ihre Gesellschafterin noch nie zuvor fluchen gehört. Sie war überrascht über Miss Marks heftige Reaktion und runzelte die Stirn. »Ja. Aber warum sind Sie …«
Sie verstummte, als sie dem Blick ihrer Begleiterin folgte.
Miss Marks blickte nicht zu Harry Rutledge. Sie blickte zu Michael Bayning.
Ein unsäglicher Schmerz drohte Poppys Brust zu zersprengen, als sie auf der anderen Seite des Raumes ihren einstigen Verehrer erblickte, der sie durchdringend anstarrte. Er hatte sie zurückgewiesen, sie dem Spott der Öffentlichkeit preisgegeben, um jetzt auch noch auf dem Ball zu erscheinen? War er vielleicht auf der Suche nach einem anderen Mädchen, das er umwerben konnte? Am Ende hatte er sich noch vorgestellt, dass Poppy, während er in Belgravia mit willigen jungen Frauen tanzte, in ihrem Hotelzimmer hockte und in ihr Kissen weinte.
Was sie in diesem Augenblick tatsächlich gerne getan hätte.
»Oh mein Gott«, flüsterte Poppy und starrte in Miss Marks besorgtes Gesicht. »Erlauben Sie ihm bloß nicht, mich anzusprechen.«
»Er wird keine Szene machen«, lauteten Miss Marks beschwichtigende Worte. »Im Gegenteil – die eine oder andere Nettigkeit wird die Situation für Sie beide wieder ins Lot bringen.«
»Sie verstehen nicht«, keuchte Poppy heiser. »Ich kann jetzt keine Nettigkeiten austauschen. Ich kann überhaupt nicht mit ihm sprechen. Bitte , Miss Marks …«
»Ich werde ihn wegschicken«, sagte die Gesellschafterin beschwichtigend und straffte ihre schmalen Schultern. »Machen Sie sich keine Sorgen. Und nehmen Sie sich zusammen.« Sie stellte sich so vor Poppy, dass sie Michael die Sicht versperrte, und ging zu ihm hinüber.
»Danke«, flüsterte Poppy, obwohl Miss Marks sie schon nicht mehr hören konnte. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten, und in ihrer Verzweiflung starrte sie vor sich auf den Boden, um sich zu konzentrieren. Keine Tränen. Keine Tränen. Keine …
»Miss Hathaway.« Lady Norburys heitere Stimme drang in ihre verzweifelten Gedanken. »Dieser Gentleman hier hat mich gebeten, Sie miteinander bekanntzumachen, Sie Glückliche! Es ist mir eine große Freude und Ehre, Ihnen Mr Harry Rutledge, den Hotelier, vorzustellen.«
Ein Paar auf Hochglanz polierte Schuhe tauchten in ihrem Sichtfeld auf. Poppy blickte kläglich auf und sah in seine lebhaften grünen Augen.
Harry begegnete ihrem Blick und verbeugte sich. »Miss Hathaway, wie geht es …«
»Ich möchte einen Walzer tanzen«, rief Poppy, sprang von ihrem Stuhl auf und ergriff seinen Arm. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie brachte kaum einen Ton heraus. »Gehen wir.«
Lady Norbury lachte verblüfft auf. »Wie leidenschaftlich!«
Poppy hielt sich an Harrys Arm fest, als handelte es sich um eine Rettungsleine. Sein Blick fiel auf ihre Finger, die sich in die edle schwarze Wolle seines Ärmels krallten. Er legte seine freie Hand auf ihre und drückte sie, um ihr ein Gefühl von Sicherheit zu geben. Mit dem Daumen streichelte er sanft über ihr Handgelenk. Und sogar durch die doppelte Schicht Handschuhe hindurch fand sie Trost in seiner Berührung.
Da kam Miss Marks zurück, die gerade Michael Bayning fortgeschickt hatte. Ihre Brauen zogen sich zusammen, und finster blickte sie zu Harry hoch. »Nein«, sagte sie schroff.
» Nein? « Seine Lippen zuckten vor Belustigung. »Ich habe Sie doch überhaupt nichts gefragt.«
Miss Marks starrte ihn frostig an. »Wie es aussieht, wünschen Sie mit Miss Hathaway zu tanzen.«
»Hätten Sie denn etwas dagegen?«, fragte er unschuldig.
»Einiges«, erwiderte Miss Marks so brüsk, dass sowohl Lady Norbury als auch Poppy befremdet dreinblickten.
»Miss Marks«, mischte sich Lady Norbury ein, »ich bürge für den außerordentlich guten Ruf dieses Gentleman.«
Die Gesellschafterin presste die Lippen zusammen. Sie betrachtete Poppys glitzernde Augen und ihr gerötetes Gesicht und schien zu begreifen, dass diese kurz davor war, die Nerven zu verlieren. »Wenn der
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