Zärtlicher Sturm
stand belustigt auf. »Ich hatte nur dein Wohlbefinden im Auge.«
Ging er jetzt? Allein die Vorstellung, ohne Korsett rumzulaufen! Was war bloß in ihn gefahren?
»Wenn du dich waschen willst – Wasser und ein Handtuch sind da. Ich gebe dir zehn Minuten Zeit, also trödele nicht. Man braucht einen ganzen Tag, um die Stuten zur Ranch zu treiben. Billy kommt allein damit zurecht, aber er wird nicht aufbrechen, ehe wir uns den beiden angeschlossen haben.«
›Den beiden‹ hieß, daß Slade noch da war. Wie konnte sie ihm nach der letzten Nacht ins Gesicht sehen? Würde er sich ausmalen können, was geschehen war?
Lucas hatte die vergangene Nacht mit keinem Wort erwähnt. Jetzt hatte sie das unglaublichste Erlebnis ihres gesamten bisherigen Lebens hinter sich gebracht, und er verhielt sich, als sei nichts gewesen. Nein, das stimmte nicht ganz. War sein Verhalten nicht intimer, vielleicht sogar besitzergreifend?
Dann wurde ihr plötzlich klar: Der Umstand, daß er kein Wort gesagt hatte, konnte nur bedeuten, daß er nicht wußte, daß sie noch eine Jungfrau gewesen war. Sie hatte sich umsonst Sorgen gemacht.
Ihre Erleichterung war gewaltig, und das nicht nur, weil er nicht gemerkt hatte, daß sie ihn hinters Licht geführt
hatte. Es hatte zudem die Möglichkeit bestanden, daß er sich aus Gründen der Ehre verpflichtet gefühlt hätte, sie zu heiraten, nachdem er ihr die Jungfräulichkeit geraubt hatte; aber jetzt brauchte sie sich auch darum keine Sorgen zu machen.
Sie weigerte sich, länger darüber nachzudenken; statt dessen nutzte sie eilig die zehn Minuten, die ihr blieben. Doch es dauerte nicht allzu lange, bis sie wieder in einer Klemme steckte: Sie hatte getrocknetes Blut auf dem Handtuch entdeckt. Sie ließ es eilig fallen und versuchte hastig, mit Erde die Spuren zu verwischen. Doch sowie sie das Gefühl hatte, die Tarnung sei gelungen, fiel ihr Blick auf die Decke. Sie hatte keine Zeit mehr, die verräterischen Spuren herauszuwaschen. Sie würde dafür sorgen müssen, daß die Decke auf dem Rückweg in ihrer Nähe blieb.
Sie zog gerade ihre Stiefel an, als Lucas zurückkam. »Fertig?« fragte er.
»Ja.«
Hastig hob sie die zusammengerollte Decke auf, als er seine Sachen zusammenpackte. Er sah sie fragend an, und sie sagte: »Ich dachte, ich könnte sie auf dem Heimritt als Kissen benutzen.«
»Hat Slade dir diesen Trick beigebracht?«
»Ja.«
»Sehr rücksichtsvoll von ihm, findest du nicht?«
»Doch, das kann sein«, murrte sie verdrossen.
»Du hast doch nicht etwa Bedenken, ihn wiederzusehen, oder?« fragte er zart, während er sie an den Schultern hielt.
»Ich …« Sie brachte die Worte nicht heraus, denn seine Nähe verwirrte sie. »Nein … nicht, solange du bei mir bist.«
»Gut.« Er tätschelte ihren Rücken und suchte dann den Rest seiner Sachen zusammen, schnallte sich den Pistolengurt um und warf die Satteltaschen über seine Schulter. »Seine Besuche sind kurz und selten«, fügte er hinzu. »Du mußt also nie über einen längeren Zeitraum mit ihm auskommen.«
Der Umstand, daß er an dem, was sie mit seinem Bruder hatte durchmachen müssen, nichts Böses fand, machte alles nur noch schlimmer. »Das klingt ja ermutigend.«
Entweder er hörte den Sarkasmus nicht aus ihrer Stimme heraus, oder er entschied sich, ihn zu ignorieren. Er band den Hengst los und sagte kein Wort mehr, bis das Pferd spürte, daß das Seil nachgab, sich aufbäumte und vor Lucas scheute.
»Bleib ein gutes Stück hinter mir zurück, Sharisse«, warnte Lucas sie. »Dieser Kerl könnte ausschlagen, und ich bin nicht sicher, ob ich ihn festhalten kann.«
Der Hengst bockte, mußte gezerrt und mit Schmeicheleien vorangetrieben werden, bis sie sich den anderen Pferden näherten. Von dem Moment an mußte Lucas ihn mit aller Kraft zurückhalten.
Als Sharisse das Lager erreichte, hatte Lucas Billy den Hengst übergeben, und Billy würde jetzt den Hengst bändigen und gleichzeitig die Stuten vorantreiben müssen. Sie und Lucas würden auf Lucas' Pferd reiten.
Lucas war derjenige, der die Frage stellte. »Wo ist Slade?«
Billy sah nicht auf. »Er ist furchtbar sauer gewesen, als du letzte Nacht nicht zum Lager zurückgekommen bist. Ich glaube, er hat es nicht allzu gut aufgenommen, daß du bei ihr geblieben bist, wenn du statt dessen deinen Bruder hättest treffen können.« Er blickte jetzt auf, und dabei stellte sich deutlich heraus, daß er die ganze Geschichte äußerst amüsant fand. »Nein, ich glaube, das
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