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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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springt auf und umarmt sie. »Gott segne dich, mein Schatz!
Du weißt ja gar nicht, was für eine Freude du mir damit machst«, sagt sie. Sie
drückt und küsst sie, während ihr die Tränen aus den Augen strömen.
    »Schluss jetzt, Mama!«, ruft Katerina gerührt. »Wenn ich weggehen
will, weinst du. Und wenn ich hierbleiben will, weinst du auch.«
    [318]  »Lass die beiden doch in Ruhe zu Ende erzählen«, sage ich zu
Adriani, damit sie sich wieder etwas in den Griff kriegt.
    Adriani lässt ihre Tochter los, und die Tränen versiegen, doch sie
bleibt an Katerinas Seite und streicht ihr zärtlich übers Haar.
    »Hat sich denn bei deinem Job etwas Neues ergeben?«, frage ich.
    »Nein, aber als ich die Entscheidung getroffen hatte, sind mir auf
einmal andere Möglichkeiten für ein zusätzliches Einkommen in den Sinn
gekommen. Zum Beispiel habe ich bei dem privaten Nachhilfeinstitut für
Jurastudenten angerufen, wo ich nach meiner Rückkehr aus Thessaloniki
unterrichtet habe, und sie haben mich gleich wieder genommen. Viel Geld bringt
das natürlich nicht, aber immerhin ein kleines Zubrot. Wenn Fanis’ Gehalt noch
weiter gekürzt wird, können wir mit meinem Lohn wenigstens unseren derzeitigen
Lebensstandard halten.«
    »Diese guten Neuigkeiten müsst ihr unbedingt Fanis’ Eltern erzählen.
Die waren nämlich vollkommen geknickt«, meint Adriani.
    »Wir rufen sie gleich von daheim aus an«, verspricht Fanis.
    »So, jetzt haben wir euch die gute Nachricht überbracht und müssen
nach Hause«, meint Katerina, während sie sich zum Aufbruch erhebt. »Fanis hat
morgen Frühschicht und ich einen Gerichtstermin. Wir besprechen alles
ausführlich, wenn ich erst mal verdaut habe, was ich da beinahe angerichtet
hätte«, fügt sie scherzend hinzu.
    Adriani umarmt ihre Tochter noch einmal ganz fest und wispert ihr
etwas ins Ohr. Fanis nutzt die Gelegenheit und pirscht sich an meine Seite.
    [319]  »Deinem Freund, dem Kommunisten, stifte ich eine Ikone«, flüstert
er mir zu. Da erst erkenne ich, dass Sissis in der ganzen Angelegenheit eine
entscheidende Rolle gespielt haben muss.
    »Lambros hat sie umgestimmt?«, frage ich, ebenfalls mit gedämpfter
Stimme.
    »Lass mal, das erzähle ich dir ein andermal. Nur eins noch: Dass wir
solche Menschen vor die Hunde gehen ließen, ist unverzeihlich.«
    Wir begleiten die beiden noch bis zur Tür. Dann kehren wir ins
Wohnzimmer zurück und lassen uns erschöpft fallen – Adriani aufs Sofa und ich
in einen Sessel. Wir fühlen uns so ausgelaugt, als hätten wir vierundzwanzig
Stunden am Stück harte Feldarbeit verrichtet.
    »Gleich morgen stifte ich der gnadenreichen Madonna eine Kerze«,
verkündet Adriani.
    »Tu das, nur solltest du auch Sissis eine Kerze stiften. Auch wenn
es bei ihm nicht viel nützen wird…«
    »Welchen Sissis meinst du?«, fragt sie verdutzt.
    Nun scheint der Zeitpunkt gekommen, Adriani die Geschichte meiner
Bekanntschaft mit Sissis von Anfang an zu erzählen: wie ich ihn in der
Folterzentrale der Junta in der Bouboulinas-Straße kennenlernte, wie ich mit
ansehen musste, wie er gequält wurde, und wie ich ihn abends in seiner
Isolationszelle an der Heizung seine Kleider trocknen ließ, weil man ihn
stundenlang in ein Fass mit eiskaltem Wasser gesteckt hatte. Und wie sich dann,
nachdem er ins Präsidium gekommen war, weil er eine Bescheinigung für seine
Widerstandskämpferrente benötigte, nach und nach eine Freundschaft entwickelte.
Jetzt erzähle ich ihr alles, bis ins [320]  kleinste Detail, auch Sissis’ Beziehung
zu Katerina, und dass ich ihn – in der Hoffnung, er könnte sie vielleicht umstimmen – gebeten hatte, mit ihr zu sprechen.
    Als ich verstumme, starrt sie mich mit offenem Mund an. »Ich fass es
nicht! Du bist jahrelang mit diesem Mann befreundet, dann lernt ihn auch noch
meine Tochter kennen, und ich habe von alledem keine blasse Ahnung?«, fragt sie
entgeistert. Und wie immer liegen bei Adriani Freudentränen und Zornesausbrüche
nah beieinander. »Weißt du was? Seine Frau betrügt man nicht nur mit einer
Geliebten, sondern auch, wenn man Freundschaften vor ihr geheim hält. Es kommt
mir gerade vor, als hättest du mich mit einer anderen betrogen.«
    »Du übertreibst! Durch Zufall habe ich Sissis in der
Bouboulinas-Straße kennengelernt und dann den Kontakt aufrechterhalten.
Außerdem hast du ihn schon mal gesehen. Er war ja auf Katerinas Hochzeit.«
    »Ja klar, unter hundert anderen Gästen! Woher soll ich ihn kennen,
wenn keiner von euch

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