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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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meinem Treffen mit Polatoglou, worauf sie sich bekreuzigte und meinte: »Wenn an
einem kein Mangel herrscht in Griechenland, dann an Verrückten. Das hat
Karamanlis schon treffend formuliert.«
    Alle beide vermieden wir tunlichst, das Thema anzusprechen, das uns
beiden auf der Seele liegt. So verbrachten wir einen relativ erträglichen
Abend, was auf jeden Fall besser war, als niedergeschlagen zu Hause zu sitzen.
    Daher ist heute einer der seltenen Tage, an dem ich nicht übel
gelaunt von zu Hause aufbreche. Als ich gerade an der Ampel zur
Spyrou-Merkouri-Straße warte, läutet mein Handy, und Koulas aufgeregte Stimme
ist dran.
    »Herr Kommissar, soeben hat man uns verständigt, dass noch jemand
tot aufgefunden wurde, genauer gesagt ein Pärchen.«
    »Wo?«
    »Auf der Akropolis, mitten im Parthenon.«
    [187]  O nein, denke ich mir. Da muss uns eine Zahlungsaufforderung
entgangen sein. Polatoglou hat brav gezahlt, doch die anderen beiden haben sich
offenbar geweigert. Deshalb wurden sie kaltgemacht und als Sehenswürdigkeit für
die Touristen im Parthenon ausgestellt.
    »Suchen Sie nach dem Brief«, sage ich zu Koula, während ich am
Hilton Hotel in den Vassileos-Konstantinou-Boulevard Richtung Innenstadt
einbiege. »Und informieren Sie die Gerichtsmedizin und die Spurensicherung.«
    Der morgendliche Berufsverkehr staut sich an der großen Kurve am
Zappion-Palais. Mein Seat verfügt zwar über ein nutzloses Navigationsgerät,
aber eine Sirene geht ihm leider ab, so dass ich in nervenaufreibendem
Zeitlupentempo den Amalias-Boulevard überqueren muss, bis ich endlich die
Altstadt erreicht habe.
    Den Seat lasse ich in der Dionyssiou-Aeropagitou-Straße stehen, da
ich mich nicht getraue, den Burgfelsen mit dem Auto hochzufahren. Am Eingang
zur Akropolis erwartet mich ein Sechzigjähriger in höchster Aufregung.
    »Konstantinidis, Direktor des archäologischen Geländes«, stellt er
sich vor. »Herr Kommissar, dieses unglückselige Ereignis muss um jeden Preis geheim
gehalten werden.«
    »Darüber können wir später reden«, unterbreche ich ihn. »Zuerst
einmal möchte ich die beiden Toten sehen.«
    Er führt mich direkt zum Parthenon und klettert mir voran die
vorderen Stufen hoch. Zwischen den Säulen erkenne ich zwei Leichen, die ganz
anders aussehen als erwartet.
    Es sind zwei junge Leute, ein Mann und eine Frau von nicht einmal
dreißig Jahren, die eng umschlungen und Auge in Auge auf dem Fußboden liegen.
Die Sportjacke des [188]  jungen Mannes und der Blazer der jungen Frau sind an den
Stellen, wo sie sich an der Hand halten, von Blut durchtränkt. Zwischen ihnen
breitet sich eine kleine Blutlache aus. An der Jacke des Mannes ist ein
A-4-Blatt festgepinnt.
    »Hier handelt es sich nicht um Mord«, wende ich mich an
Konstantinidis. »Diese jungen Leute haben Selbstmord begangen.«
    In der Blutlache blitzt eine Rasierklinge auf. Offenbar sind sie auf
die Akropolis hochgestiegen und in den Parthenon eingedrungen, haben sich dort
die Pulsadern aufgeschnitten und Arm in Arm hingelegt, um gemeinsam zu sterben.
    Von meinem Handy aus rufe ich Stavropoulos an. »Ersparen Sie sich
die Anreise«, erkläre ich ihm. »Es handelt sich um einen Doppelsuizid. Ich
lasse die beiden mit dem Krankenwagen zu Ihnen bringen. Vor Ort brauchen wir
nur die Spurensicherung.«
    »Anscheinend fühlen Sie sich mit Morden allein nicht genug
ausgelastet und haben jetzt auch noch die Selbstmorde übernommen. Na dann, viel
Erfolg!«, ermuntert er mich, bevor er auflegt.
    Ich bücke mich und löse das Blatt Papier vorsichtig von der Sportjacke
des jungen Mannes. Es handelt sich um den Computerausdruck eines
Abschiedsbriefes.
    Wir heißen Marina und Jannis. Marina
hat den Magister in Psychologie und ich einen Master in Geschichte. Seit fünf
Jahren sind wir ein Paar und wollen heiraten. Doch wie soll das gehen, wenn wir
beide arbeitslos sind? Marina arbeitete in einer Stiftung, doch jetzt hat man
sie [189]  entlassen. Und ich habe überhaupt keinen Job gefunden. Auch unsere
Eltern können uns nicht mehr länger unterstützen. Mein Vater musste sein Schuhgeschäft
in der Patission-Straße zumachen, und Marinas Vater hat seine Arbeit verloren,
weil seine Firma pleitegegangen ist. Weder finden wir ein Auskommen, noch
können wir zusammenziehen. Es gibt für uns keine andere Lösung als den Freitod.
Wir haben beschlossen, uns im Parthenon das Leben zu nehmen, damit unsere
antiken Ahnen sehen, in welche Misere uns ihre Nachfahren gestürzt

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