Zander, Judith
andere ist, dass Dieter sich hier immer mehr wie der
Oberpriester aufführt. Gereicht hat mir das eigentlich schon, als er mich
einmal fragte, ob ich nicht bei diesen Gebeten mitmachen will. Wo rund um die
Uhr in ganz Deutschland gebetet wird, für bestimmte Themen, und jeder bekommt
eine feste Uhrzeit zugeteilt, und sie könnten noch einen gebrauchen für drei
Uhr nachts. Logisch. Aber da hab ich endlich mal meinen Mut zusammengenommen.
Das war ja alles gut und schön, aber dass ich glaub, hab ich gesagt, ich kann
das nicht. Ich war froh, wenn ich nachts um drei mal schlafen könnte. Und ich
würd mich nicht für was verpflichten wollen, was ich dann nicht richtig
einhalten kann. So ungefähr. In Wirklichkeit ging mir das auch total gegen den
Strich. Nicht das Beten, noch nicht mal das Aufstehen nachts, aber dieser ewige
»freiwillige« Zwang. Wie im Sozialismus. Und da sagt der doch glatt zu mir,
Dieter: »Na gut, Sonja. Aber du musst ja wissen, wie viel dir Gott wert is.«
Mir blieb die Spucke weg. Ich war ihm am liebsten aufn Fuß getreten, ich hatte
grade die richtigen Schuhe dafür an. Aber wir sind ja erwachsene Menschen, ach
ja.
Ich weiß auch nicht, mit
Dieter, der hat ja früher auch gesoffen, »oh, ich war n Schlimmer«, hat er mal
gesagt und gegrinst. Wir sind ja zusammen zur Schule gegangen, aber er war in
der a. Ich fand ihn immer so hässlich, mit seinen Glubschaugen, ich weiß, ich
darf so nicht denken. Er hat auch spät geheiratet, aber die schöne Christine.
Da ist er stolz drauf. Bloß, die sind wie zwei alte Pötter, und sie noch
wesentlich jünger als ich. Sie schläft nur, ihr ist alles egal. Ihre Schlüpper,
ihre Strumpfhosen, das kauft alles Dieter. Und was für Dinger. Omas Steinschlöpen
waren gar nix dagegen. Als ich die das erste Mal auf der Leine gesehen hab, hab
ich gedacht, die gehören der alten Frau Niedergesäß, die heißt wirklich so,
Romy will sich immer totlachen. Und ich denk, was fummelt denn Dieter an die
ihre Schlüpper rum. Er macht ja auch die Wäsche. Er ist nicht schlecht. Aber
was die eigentlich mit dem Kind wollten, weiß ich nicht. Die sind total überfordert.
Nur für seine religiösen Videos und seine Kassetten, so Aufnahmen von
irgendwelchen Christentreffen und Predigten und Lieder, hat er immer Zeit. Er
schleppt uns auch massenweise all dieses Zeug an, auch Rundbriefe und diese
kleinen Heftchen. Ich weiß schon nicht mehr wohin mit dem ganzen Kram, ich
stopf das überall zwischen und krieg zweimal im Monat einen Anfall deswegen.
Und dann immer seine Kontrollfragen: »Hast du das schon gelesen?«
Er kommt aber auch ständig mit
irgendwas. Öfter, wenn ich vormittags zu Hause bin, lass ich die Rollos runter,
damit er mich hier nicht rumlaufen sieht. Ich schließ inzwischen auch die Tür
ab. Einmal stand er schon im Wohnzimmer, hab ich n Schreck gekriegt!
Und wir sind inzwischen
einiges gewohnt. Ich dachte eigentlich, mich kann in der Hinsicht nix mehr
schocken. Aber vor paar Wochen, das war echt die Krönung. Seitdem ist ja Funkstille.
Klopft das doch eines Morgens bei uns an der Tür, um halb acht! Ich noch im
Morgenmantel. Ich hab erst überlegt, ob ich aufmachen soll. Aber er hatte mich
ja sicher schon gehört. Stand nämlich Dieter vor der Tür. Ich sag erschrocken:
»Was is denn?«
Er streckt mir die Hand hin
und sagt: »Nimm meine Hand!«
Ich nehm seine Hand, da sagt
er: »Du bist ein Königskind! Benimm dich auch so!«
Ich glaub, ich hab ihn nur
angestarrt.
»Du musst das jetzt auch zu
mir sagen!«, fährt er mich an, als hätt ich da schon längst von alleine
draufkommen müssen.
»Du bist ein Königskind. -
Verhalt dich auch so«, hab ich vor mich hingestottert.
»Benimm dich auch so«, sagt
er.
»Was?«
»Na, so heißt das.«
Da hatt ich mich denn langsam
n bisschen berappelt. »Wo hast du das denn -« wieder aufgeschnappt, wollt ich
sagen. »Wo hast'n du das her?«
Er druckste aber bloß rum und
nuschelte wieder irgendwas.
»Wie bitte?«
»Ach - das hat mir neulich ma
einer gesagt. Das is gut.«
Mehr war aus ihm nicht
rauszukriegen. Ich musste auch aufs Klo. Blöderweise war das auch mein erster
Gedanke gewesen, als er das gesagt hat, »Königskind«. Mir kamen sofort die
kleinen Königstiger in Kopp, wie das jetzt so der Spruch ist: Ich muss mal für
kleine Königstiger. Bei meinen Jugendlichen hab ich das gehört. Da stand ich
auch erst n bisschen aufm Schlauch, ich dachte, hä, was ist das jetzt wieder.
Und was war das jetzt wieder bei
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