Zauber der Schlange
Gras unter den ausladenden Ästen ein Festessen aufzutischen begannen.
Das Mahl, das sie bereiteten, sah seltsam aus. Die übliche Kost der Dryaden schien ausschließlich aus Früchten, Nüssen und Pilzen zu bestehen, und alles wurde ohne Kochen zubereitet.
Barak setzte sich und starrte verdrießlich auf das Dargebotene. »Kein Fleisch«, brummte er.
»Das bringt sowieso nur das Blut in Wallung«, sagte Silk.
Barak nippte argwöhnisch an seiner Tasse. »Wasser«, sagte er voller Abscheu.
»Es ist für dich sicherlich neu, zur Abwechslung einmal nüchtern schlafen zu gehen«, meinte Tante Pol, als sie wieder zu ihnen kam.
»Es ist bestimmt ungesund«, meinte Barak.
Ce’Nedra setzte sich neben Königin Xantha. Sie wollte offensichtlich mit ihr reden, aber da sich keine Gelegenheit zu einer vertraulichen Unterhaltung ergab, sprach sie schließlich offen vor allen. »Ich möchte um einen Gefallen bitten, Hoheit.«
»Bitte nur, mein Kind«, sagte die Königin lächelnd.
»Es ist keine Kleinigkeit«, erklärte Ce’Nedra. »Ich brauche eine Zuflucht für ein paar Jahre. Mein Vater wird im Alter immer unvernünftiger. Ich muß ihm fernbleiben, bis er wieder zu Verstand kommt.«
»In welcher Hinsicht wird Ran Borune unvernünftiger?« fragte Xantha.
»Er läßt mich nicht aus dem Palast, und er besteht darauf, daß ich an meinem sechzehnten Geburtstag nach Riva gehe«, sagte Ce’Nedra erbost. »Hast du so etwas je gehört?«
»Und warum möchte er, daß du nach Riva gehst?«
»Irgendein dummer Vertrag. Niemand kann sich auch nur an den Grund dafür erinnern.«
»Wenn es ein Vertrag ist, muß er eingehalten werden, Liebes«, sagte die Königin sanft.
»Ich werde nicht nach Riva gehen«, verkündete Ce’Nedra. »Ich bleibe bis nach meinem sechzehnten Geburtstag hier, und damit ist dann die Sache beendet.«
»Nein, Liebes«, sagte die Königin entschieden, »das wirst du nicht.«
»Was?« fragte Ce’Nedra wie betäubt.
»Wir haben auch einen Vertrag«, erklärte Xantha. »Unsere Vereinbarung mit dem Haus Borune ist ganz eindeutig. Unser Wald bleibt nur so lange unantastbar, wie die weiblichen Nachkommen der Prinzessin Xoria bei den Borunern bleiben. Es ist deine Pflicht, bei deinem Vater zu bleiben und ihm zu gehorchen.«
»Aber ich bin eine Dryade«, jammerte Ce’Nedra. »Ich gehöre hierher.«
»Du bist aber auch ein Mensch«, sagte die Königin, »und du gehörst zu deinem Vater.«
»Ich will aber nicht nach Riva gehen«, protestierte Ce’Nedra. »Es ist entwürdigend.«
Xantha sah sie streng an. »Sei kein albernes Kind«, sagte sie. »Deine Pflichten sind klar. Du hast Pflichten als Dryade, als eine Borunerin und als Kaiserliche Prinzessin. Deine dummen kleinen Launen sind ganz unwichtig. Wenn du die Verpflichtung hast, nach Riva zu gehen, dann mußt du gehen.«
Ce’Nedra war erschüttert, denn die Worte der Königin klangen endgültig. Sie verfiel in brütendes Schweigen.
Dann wandte sich die Königin an Meister Wolf. »Es gehen viele Gerüchte um«, sagte sie, »und manche sind sogar bis hierher zu uns vorgedrungen. Ich glaube, draußen in der Welt der Menschen geschieht zur Zeit Folgenschweres, vielleicht berührt es sogar unser Leben im Wald. Ich finde, ich sollte erfahren, worum es sich handelt.«
Wolf nickte ernst. »Ich finde auch, daß du Bescheid wissen solltest«, stimmte er ihr zu. »Das Auge Aldurs ist vom Thron in der Halle des Rivanischen Königs gestohlen worden, von Zedar dem Abtrünnigen.«
Xantha hielt den Atem an. »Wie war das möglich?« fragte sie.
Wolf breitete die Hände aus. »Wir wissen es nicht. Zedar versucht, die Länder der Angarakaner mit dem Auge zu erreichen. Wenn er einmal dort ist, wird er versuchen, dessen Macht zu benutzen, um Torak aufzuwecken.«
»Das darf nie geschehen«, sagte die Königin. »Was wird dagegen unternommen?«
»Die Alorner und die Sendarer bereiten sich auf den Krieg vor«, erwiderte Wolf. »Die Arendier haben Hilfe versprochen, und Ran Borune ist unterrichtet, hat allerdings keine Versprechen abgegeben. Die Boruner können manchmal recht schwierig sein.« Er warf einen Blick auf die schmollende Ce’Nedra.
»Dann bedeutet es also Krieg?« fragte die Königin traurig. »Ich fürchte ja, Xantha«, sagte er. »Ich verfolge Zedar mit den anderen hier, und ich hoffe, wir können ihn einholen und das Auge zurückgewinnen, ehe er damit zu Torak kommt. Wenn wir Erfolg haben, werden die Angarakaner den Westen sowieso aus Verzweiflung
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