Zauber der Schlange
Ausmaße an. Innerhalb kurzer Zeit stand sie dem großen steinernen Gott Auge in Auge gegenüber.
»Polgara?« Die Stimme des Gottes klang verblüfft. »Warum hast du das getan?«
»Ich komme in Erfüllung der Prophezeiung, o Gott Issa«, sagte sie. »Eure Dienerin hat Euch und Eure Brüder verraten.«
»Das kann nicht sein«, sagte Issa. »Sie ist meine Erwählte. Ihr Gesicht ist das Gesicht derer, die ich liebe.«
»Das Gesicht ist dasselbe«, sagte Tante Pol, »aber dies ist nicht Issas geliebte Salmissra. Hundert Salmissras haben Euch in diesem Tempel gedient, seit Eure Geliebte starb.«
»Starb?« fragte der Gott ungläubig.
»Sie lügt!« kreischte Salmissra. »Ich bin deine Geliebte, o mein Gott. Wendet Euch nicht um ihrer Lügen willen von mir ab. Tötet sie!«
»Die Prophezeiung nähert sich ihrem Tag«, sagte Tante Pol. »Der Knabe zu Salmissras Füßen ist ihre Frucht. Er muß mir zurückgegeben werden, oder die Prophezeiung geht fehl.«
»Ist der Tag der Prophezeiung so schnell gekommen?« fragte der Gott.
»Nicht schnell, Gott Issa«, sagte Tante Pol. »Es ist spät. Euer Schlummer hat Äonen umfaßt.«
»Lügen! Alles Lügen!« rief Salmissra verzweifelt und umklammerte die Knöchel des riesigen Steingottes.
»Ich muß die Wahrheit prüfen«, sagte der Gott langsam. »Ich habe lang und tief geschlafen, jetzt fällt die Welt unversehens über mich herein.«
»Zerstöre sie, mein Gott!« forderte Salmissra. »Ihre Lügen sind verabscheuungswürdig und eine Entweihung Eurer heiligen Gegenwart.«
»Ich werde die Wahrheit herausfinden, Salmissra«, sagte Issa.
Garion fühlte eine kurze, gewaltige Berührung seines Geistes. Etwas hatte ihn gestreift – etwas so mächtiges, daß seine Vorstellung vor dieser Größe erschauerte. Dann hörte die Berührung auf.
»Ahhh…« Der Seufzer kam von dem Boden. Die tote Schlange Maas rührte sich. »Ahhh… laßt mich schlafen«, zischelte sie.
»Gleich«, sagte Issa. »Wie war dein Name?«
»Ich wurde Maas genannt«, sagte die Schlange. »Ich war Ratgeber und Gesellschafter der Ewigen Salmissra. Schickt mich zurück, Herr.
Ich kann es nicht ertragen, wieder zu leben.«
»Ist dies meine geliebte Salmissra?« fragte der Gott.
»Ihre Nachfolgerin.« Maas seufzte. »Eure geliebte Priesterin ist vor Tausenden von Jahren gestorben. Jede neue Salmissra wird erwählt wegen ihrer Ähnlichkeit mit Eurer Geliebten.«
»Ah«, sagte Issa, und seine gewaltige Stimme klang gequält. »Und was war die Absicht dieser Frau, als sie Belgarion aus Polgaras Obhut raubte?«
»Sie suchte Verbindung mit Torak«, sagte Maas. »Sie wollte Belgarion dem Verfluchten übergeben, als Gegenleistung für die Unsterblichkeit, die seine Umarmung ihr verleihen würde.«
»Seine Umarmung? Meine Priesterin würde sich der elenden Umarmung meines geisteskranken Bruders hingeben?«
»Bereitwillig, Herr«, antwortete Maas. »Es liegt in ihrer Natur, die Umarmung eines jeden Mannes oder Tieres zu suchen, die ihren Weg kreuzen.«
Abscheu zeigte sich auf Issas steinernem Gesicht. »War das schon immer so?«
»Immer, Herr«, sagte Maas. »Der Trank, der ihre Jugend und ihre Ähnlichkeit mit Eurer Geliebten bewahrt, entzündet ein Feuer der Lust in ihren Adern. Dieses Feuer bleibt ungelöscht, bis sie stirbt. Laßt mich gehen, Herr. Diese Qualen!«
»Schlafe, Maas«, gewährte Issa traurig. »Nimm meinen Dank mit in deinen stillen Tod.«
»Ahhh…« Maas seufzte und sank wieder zu Boden.
»Ich werde auch wieder in Schlummer fallen«, sagte Issa. »Ich darf nicht bleiben, sonst erweckt meine Gegenwart Torak zu dem Krieg, der die Welt vernichten wird.« Die große Statue trat zurück an den Fleck, wo sie seit Jahrtausenden gestanden hatte. Das ohrenbetäubende Knirschen und Stöhnen des Steins erfüllte wieder den Raum. »Handle mit dieser Frau nach deinem Belieben, Polgara«, sagte der steinerne Gott. »Nur schone ihr Leben, um der Ähnlichkeit mit meiner Geliebten willen.«
»Das werde ich, o Gott Issa«, sagte Tante Pol und verbeugte sich vor der Statue.
»Und grüße meinen Bruder Aldur«, sagte die hohe Stimme, schon beim Sprechen schwächer werdend.
»Schlaft, Herr«, sagte Tante Pol. »Möge Euer Schlaf Euren Kummer hinwegspülen.«
»Nein!« jammerte Salmissra, aber das grüne Feuer in den Augen der Statue war bereits erloschen, und der Stein in ihrer Krone flackerte und wurde dann dunkel.
»Es ist Zeit, Salmissra«, verkündete Tante Pol, groß und schrecklich.
»Töte
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