Zauber der Schlange
grauer Wolf trottete aus dem Nebel und blieb mitten auf einer kleinen Lichtung zwischen den Bäumen stehen. Garion sog scharf den Atem ein und blieb wie erstarrt neben einer großen, knorrigen Eiche stehen. Der Wolf ließ sich auf dem feuchten Laub nieder, als ob er auf etwas wartete. Der leuchtende Nebel offenbarte Einzelheiten, die Garion in einer gewöhnlichen Nacht nicht hätte wahrnehmen können. Mähne und Schultern des Tieres waren silberweiß, und seine Schnauze war grau. Er trug sein Alter mit großer Würde, seine gelben Augen wirkten ruhig und irgendwie sehr weise.
Garion stand vollkommen unbeweglich. Er wußte, daß das leiseste Geräusch sofort die scharfen Ohren des Wolfes erreichen würde, aber es war nicht nur das. Der Schlag hinter sein Ohr hatte seinen Kopf leicht gemacht, und der seltsame Glanz des mondlichtdurchfluteten Nebels ließ ihm diese Begegnung irgendwie unwirklich erscheinen. Er merkte, wie er den Atem anhielt.
Eine große, schneeweiße Eule schwebte auf geisterhaften Schwingen über die kleine Lichtung, ließ sich auf einem niedrigen Ast nieder und blickte ohne zu blinzeln auf den Wolf hinunter. Der graue Wolf erwiderte den Blick des Vogels gelassen. Dann, obwohl kein Windhauch ging, schien es, als ob ein plötzlicher Luftwirbel in dem schimmernden Nebel die Gestalten der Eule und des Wolfes verschwommen und undeutlich machte. Als es wieder klar wurde, stand Meister Wolf mitten auf der Lichtung, und Tante Pol in ihrem grauen Kleid saß gelassen auf dem Ast über ihm.
»Es ist lange her, seit wir zusammen gejagt haben, Polgara«, sagte der alte Mann.
»Ja, das ist wahr, Vater.« Sie hob die Arme und fuhr sich mit den Fingern durch die lange, dunkle Fülle ihres Haars. »Ich hatte schon fast vergessen, wie es ist.« Ein seltsamer Freudenschauer schien sie zu überlaufen. »Es ist eine herrliche Nacht dafür.«
»Etwas frisch, finde ich«, erwiderte er und schüttelte einen Fuß.
»Über den Baumwipfeln ist es sehr klar, und die Sterne leuchten besonders hell. Es ist eine großartige Nacht zum Fliegen.«
»Ich freue mich, daß es dir Spaß gemacht hat. Du hast dabei nicht zufällig vergessen, was du eigentlich tun solltest?«
»Sei nicht sarkastisch, Vater.«
»Also?«
»Außer Arendiern ist niemand in der Nähe, und die meisten von ihnen schlafen.«
»Bist du sicher?«
»Natürlich. Auf fünfzehn Meilen in jeder Richtung ist kein Grolim zu sehen. Hast du gefunden, was du suchtest?«
Er nickte. »In einem der Dörfer in der Nähe gibt es einen Mann, der die Straßen beobachtet und sie wissen läßt, wenn jemand vorbeikommt, den auszurauben sich lohnen könnte.«
»Dann sind es nur gewöhnliche Diebe?«
»Nicht ganz. Sie haben gerade auf uns gewartet. Wir waren ihnen genau beschrieben worden.«
»Ich glaube, ich werde ein Wörtchen mit diesem Dorfbewohner reden«, sagte sie grimmig. Sie machte eine unangenehm vielsagende Geste.
»Das ist die Zeit nicht wert, die es kosten würde«, sagte Wolf und kratzte sich nachdenklich im Bart. »Er könnte dir nur erzählen, daß ein Murgo ihm Geld geboten hat. Grolims geben sich nicht damit ab, ihren gedungenen Leuten etwas zu erklären.«
»Wir sollten uns um ihn kümmern, Vater«, beharrte sie. »Wir wollen nicht, daß er hinter uns herschleicht und versucht, jeden Schurken in ganz Arendien zu bestechen und auf unsere Spur zu hetzen.«
»Bald wird er nicht mehr viel zu bestechen haben«, erwiderte Wolf mit einem kurzen Auflachen. »Seine Freunde planen, ihn morgen früh in den Wald zu locken und ihm die Kehle durchzuschneiden – unter anderem.«
»Gut. Ich möchte trotzdem gern wissen, wer der Grolim ist.«
Wolf zuckte die Achseln. »Was macht das für einen Unterschied? In Nordarendien gibt es Dutzende von ihnen, die alle soviel Unruhe stiften, wie sie nur können. Sie wissen genausogut wie wir, was kommt. Wir können nicht erwarten, daß sie ruhig dasitzen und uns vorbeiziehen lassen.«
»Sollten wir dem nicht ein Ende machen?«
»Wir haben keine Zeit dazu«, sagte er. »Es dauert ewig, Arendiern etwas zu erklären. Wenn wir schnell genug vorankommen, können wir vielleicht durchschlüpfen, ehe die Grolims soweit sind.«
»Und wenn nicht?«
»Dann müssen wir es anders versuchen. Ich muß an Zedar herankommen, bevor er nach Cthol Murgos gelangt. Wenn sich mir zuviel in den Weg stellt, muß ich eben direkter werden.«
»Das hättest du von Anfang an tun sollen, Vater. Manchmal bist du zu heikel.«
»Fängst du wieder damit
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