Zauber der Schlange
an, sein Zorn war plötzlich seines Ziels beraubt. Mit schmerzlicher Klarheit erkannte er, daß er sich gerade zum Narren gemacht hatte. »Es tut mir leid«, entschuldigte er sich mit erstickter Stimme. »Ich habe nicht begriffen, was du getan hast.«
Mandorallen zuckte die Achseln. »Es ist nicht wichtig. Ich werde häufig mißverstanden. Solange ich weiß, daß meine Beweggründe gut sind, kümmern mich die Ansichten anderer nur selten. Trotzdem bin ich froh, daß ich Gelegenheit hatte, dir dies zu erklären. Du wirst mein Gefährte sein, und es geziemt Gefährten nicht, falsche Vorstellungen voneinander zu haben.«
Sie ritten schweigend weiter, während Garion sich bemühte, seine Gedanken neu zu ordnen. Wie es schien, steckte in Mandorallen mehr, als er geahnt hatte. Dann erreichten sie wieder die Straße und wandten sich unter einem düsteren Himmel nach Süden.
8
D ie arendische Ebene war ein ausgedehntes, hügeliges Grasland, das nur spärlich besiedelt war. Der Wind, der über das trockene Gras strich, war kalt und rauh, und graue Wolken zogen über den Himmel. Die Notwendigkeit, den verwundeten Lelldorin zurücklassen zu müssen, hatte sie alle in eine melancholische Stimmung versetzt. In den folgenden Tagen ritten sie meist schweigend dahin. Garion bildete mit Hettar und den Packpferden den Schluß und tat damit sein Bestes, sich von Mandorallen fernzuhalten.
Hettar war ein schweigsamer Mann, den es nicht zu stören schien, stundenlang zu reiten, ohne sich zu unterhalten, aber nach zwei Tagen machte Garion den Versuch, etwas aus dem habichtgesichtigen Algarier herauszubekommen.
»Warum haßt du die Murgos eigentlich so sehr?« fragte er, da er nichts Besseres zu sagen wußte.
»Alle Alorner hassen die Murgos«, antwortete Hettar leise.
»Ja schon«, gab Garion zu, »aber bei dir scheint es etwas Persönliches zu sein. Warum also?«
Hettar setzte sich im Sattel zurecht, wobei seine Lederkleidung knirschte. »Sie haben meine Eltern getötet«, erwiderte er.
Garion war entsetzt, die Worte des Algariers machten ihn betroffen. »Wie ist es passiert?« fragte er, ehe ihm einfiel, daß Hettar vielleicht nicht darüber sprechen wollte.
»Ich war sieben«, erzählte Hettar mit ungerührter Stimme. »Wir waren auf dem Weg, um die Familie meiner Mutter zu besuchen – sie stammte aus einem anderen Clan. Wir mußten am Ostrand des Gebirges entlang, und eine Murgopatrouille erwischte uns. Das Pferd meiner Mutter stolperte, und sie wurde abgeworfen. Die Murgos waren bei uns, ehe mein Vater und ich sie wieder aufs Pferd heben konnten. Sie haben lange gebraucht, um meine Eltern zu töten. Ich erinnere mich daran, daß meine Mutter einmal geschrien hat, kurz vor dem Ende.« Das Gesicht des Algariers war so unbeweglich wie Stein, und seine ausdruckslose, leise Stimme ließ seine Geschichte nur um so schrecklicher klingen.
»Nachdem meine Eltern tot waren, banden mir die Murgos ein Seil um die Füße und zogen mich hinter einem ihrer Pferde her«, fuhr er fort. »Als das Seil schließlich riß, hielten sie mich für tot und ritten davon. Wenn ich mich recht entsinne, lachten sie noch darüber. Cho-Hag hat mich ein paar Tage später gefunden.«
So deutlich, als ob er dabeigewesen wäre, sah Garion das Bild eines Kindes vor sich, das – schwer verwundet und einsam – in der Weite Algariens herumirrte, und das nur Kummer und ein wütender Haß am Leben hielten.
»Ich habe meinen ersten Murgo getötet, als ich zehn war«, erzählte Hettar mit derselben ausdruckslosen Stimme weiter. »Er versuchte, vor uns zu fliehen, und ich ritt ihn nieder und stieß ihm einen Speer zwischen die Schultern. Er schrie, als der Speer ihn durchbohrte. Danach fühlte ich mich besser. Cho-Hag glaubte, wenn er mich zusehen ließe, wie der Murgo starb, würde ich von meinem Haß geheilt. Aber darin hat er sich geirrt.« Das Gesicht des großen Algariers zeigte keine Regung, und seine Skalplocke wehte im Wind hinter ihm her. Es war eine Leere um ihn, als ob er zu keinem anderen Gefühl mehr fähig war als zu diesem ihn vorantreibenden Haß.
Für einen Moment verstand Garion ungefähr, was Meister Wolf gemeint hatte, als er ihn davor warnte, von dem Wunsch nach Rache besessen zu werden, aber er schob diesen Gedanken beiseite. Wenn Hettar damit leben konnte, dann konnte er es auch. Er fühlte eine plötzliche, wilde Bewunderung für diesen einsamen Jäger in schwarzem Leder.
Meister Wolf war in ein Gespräch mit Mandorallen vertieft. Die
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