Zauber der Schlange
diese Stimmung zu vertreiben als aus echter Neugier. »Was für ein Vogel ist das?« Er zeigte darauf.
»Ein Rabe, glaube ich«, antwortete Durnik und betrachtete den Vogel, der über ihnen kreiste.
»Das habe ich auch gedacht«, sagte Garion, »aber normalerweise kreisen sie doch nicht, oder?«
Durnik runzelte die Stirn. »Vielleicht beobachtet er etwas am Boden.«
»Wie lange ist er schon dort oben?« fragte Wolf und spähte zu dem großen Vogel empor.
»Ich glaube, ich habe ihn zuerst gesehen, als wir das Feld überquerten«, sagte Garion.
Meister Wolf sah zu Tante Pol hinüber. »Was meinst du?«
Sie sah von Garions Strümpfen hoch, die sie gerade stopfte. »Ich werde mal sehen.« Ihr Gesicht nahm einen seltsamen, suchenden Ausdruck an.
Garion fühlte wieder dieses merkwürdige Kribbeln. Aus einem Impuls heraus versuchte er, seinen eigenen Geist nach dem Vogel auszustrecken.
»Garion«, sagte Tante Pol, ohne ihn anzusehen, »laß das.«
»Tut mir leid«, entschuldigte er sich rasch und zog seinen Geist wieder dahin zurück, wo er hingehörte.
Meister Wolf sah ihn mit einem eigenartigen Ausdruck an und zwinkerte ihm dann zu.
»Es ist Chamdar«, verkündete Tante Pol ruhig. Sie steckte ihre Nadel sorgsam in den Strumpf und legte ihn beiseite. Dann stand sie auf und schüttelte ihren blauen Umhang ab.
»Was hast du vor?« fragte Wolf.
»Ich werde ein kleines Schwätzchen mit ihm halten«, antwortete sie und bewegte ihre Finger wie Krallen.
»Du würdest ihn nie fangen«, meinte Wolf zu ihr. »Deine Federn sind zu weich für so einen Wind. Es gibt eine einfachere Möglichkeit.« Der alte Mann ließ seinen Blick suchend über den stürmischen Himmel schweifen. »Dort drüben.« Er deutete auf einen kaum sichtbaren Fleck über den Hügeln im Westen. »Am besten machst du es, Pol. Vögel sind nicht meine Stärke.«
»Natürlich, Vater«, stimmte sie zu. Angespannt beobachtete sie den Fleck, und Garion spürte das Kribbeln, als sie ihren Geist wieder aussandte. Der Fleck begann zu kreisen und schraubte sich höher und höher, bis er verschwand.
Der Rabe sah den herabstoßenden Adler erst im letzten Moment, unmittelbar bevor die Fänge des größeren Vogels zuschlugen. Schwarze Federn stoben plötzlich auseinander. Der Rabe kreischte vor Angst und schlug wild mit den Flügeln um sich, als der Adler ihn verfolgte.
»Nett gemacht, Pol«, sagte Wolf anerkennend.
»Jetzt hat er etwas, worüber er nachdenken kann.« Sie lächelte. »Sieh mich nicht so an, Durnik.«
Durnik starrte sie mit offenem Mund an. »Wie hast du das gemacht?«
»Willst du das wirklich wissen?« fragte sie zurück.
Durnik schauderte und wandte den Blick ab.
»Ich glaube, damit hat es sich«, sagte Wolf. »Verkleidungen sind jetzt wahrscheinlich sinnlos. Ich weiß nicht genau, worauf Chamdar hinaus will, aber er wird jeden unserer Schritte beobachten. Wir können genausogut direkt nach Vo Mimbre reiten.«
»Werden wir der Spur nicht weiter folgen?« fragte Barak.
»Die Spur führt nach Süden«, erwiderte Wolf. »Ich kann sie wieder aufnehmen, wenn wir über die Grenze nach Tolnedra gehen. Aber zuerst möchte ich haltmachen und ein Wort mit König Korodullin reden. Es gibt ein paar Dinge, die er wissen muß.«
»Korodullin?« Durnik wirkte verblüfft. »Hieß so nicht der erste arendische König? Ich meine, jemand hätte mir das einmal erzählt.«
»Alle arendischen Könige werden Korodullin genannt«, erklärte Silk. »Und die Königinnen heißen alle Mayaserana. Es ist Teil der Illusion, die die königliche Familie hier aufrechterhält, um das Reich vor dem Auseinanderfallen zu bewahren. Sie müssen so blutsverwandt heiraten wie nur möglich, um die Illusion der Vereinigung der Häuser von Mimbre und Asturien zu erhalten. Deswegen sind sie alle etwas kränklich, aber es geht nicht anders – wenn man die besondere Natur arendischer Politik in Betracht zieht.«
»Es reicht, Silk«, sagte Tante Pol tadelnd.
Mandorallen blickte nachdenklich drein. »Könnte es sein, daß dieser Chamdar, der unsere Schritte so bewacht, jemand von großer Wichtigkeit in der finsteren Gesellschaft der Grolims ist?« fragte er.
»Das wäre er gern«, antwortete Wolf. »Zedar und Ctuchik sind Toraks Schüler, und Chamdar wäre auch gern hier. Er war immer schon Ctuchiks Agent, aber er mag glauben, daß jetzt die Gelegenheit für ihn gekommen ist, in der Hierarchie der Grolims weiter aufzusteigen. Ctuchik ist sehr alt, und er verbringt seine ganze
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