Zauber der Schlange
meidest, ist es fast, als wäre sie ganz normal.«
»Ich habe meine Zeit jedenfalls sinnvoller verbracht als du, Vater«, bemerkte Tante Pol spitz. »Wie ich mich erinnere, hast du diese Jahre damit verbracht, in den Hafenspelunken von Camaar zu zechen. Und dann war da noch die erbauliche Zeit, in der du für die Unterhaltung der lasterhaften Frauen von Maragor gesorgt hast. Diese Erfahrungen haben deine Ansichten über Moral sicherlich ungeheuer erweitert.«
Meister Wolf hüstelte unbehaglich und wandte den Blick von ihr.
Hinter ihnen hatte Mandorallen sein Pferd wieder bestiegen und galoppierte den Hügel herunter. Die Dame stand unter dem Bogengang, ihr roter Umhang flatterte im Wind. Sie sah ihm nach, wie er von dannen ritt.
Sie waren fünf Tage auf der Straße, bevor sie den Arend erreichten, die Grenze zwischen Arendien und Tolnedra. Das Wetter wurde besser, je weiter sie nach Süden kamen, und an dem Morgen, als sie den Hügel erreichten, der den Fluß überschaute, war es schon fast warm. Die Sonne schien hell, und ein paar zarte Wölkchen flogen in der frischen Brise über den Himmel.
»Die Hauptstraße nach Vo Mimbre zweigt dort links ab«, bemerkte Mandorallen.
»Ja«, sagte Wolf. »Wir wollen in dieses Wäldchen beim Fluß hinunterreiten und uns ein bißchen herrichten. Äußerlichkeiten sind in Vo Mimbre sehr wichtig, und wir sollten nicht dort ankommen und aussehen wie Vagabunden.«
Drei braungekleidete, mit Kapuzen angetane Gestalten standen bescheiden an der Wegkreuzung. Sie hatten die Köpfe gesenkt und die Hände bittend ausgestreckt. Meister Wolf zügelte sein Pferd und ritt langsam auf sie zu. Er sprach kurz mit ihnen und gab dann jedem eine Münze.
»Wer sind sie?« fragte Garion.
»Mönche aus Mar Terrin«, antwortete Silk.
»Wo ist das?«
»Es ist ein Kloster in Südosttolnedra, wo einst Maragor war«, erklärte Silk. »Die Mönche versuchen, die Geister der Marag zu trösten.«
Meister Wolf machte eine Handbewegung, sie ritten an den drei demütigen Gestalten vorbei. »Sie sagen, daß in den letzten beiden Wochen kein Murgo hier vorbeigekommen ist.«
»Bist du sicher, daß man ihnen glauben kann?« fragte Hettar.
»Wahrscheinlich. Die Mönche würden niemanden belügen.«
»Dann würden sie auch jedem, der vorbeikommt, erzählen, daß wir vorbeigeritten sind?« fragte Barak.
Wolf nickte. »Sie beantworten alle Fragen, die man ihnen stellt.«
»Eine ungesunde Angewohnheit«, brummte Barak finster.
Meister Wolf zuckte die Achseln und führte sie unter die Bäume neben dem Fluß. »Hier ist es gut«, entschied er und stieg auf einer mit Gras bewachsenen Lichtung vom Pferd. Er wartete, während die anderen ebenfalls abstiegen. »Also gut«, sagte er dann, »wir werden nach Vo Mimbre gehen. Ich möchte, daß ihr alle darauf achtgebt, was ihr sagt. Mimbrater sind sehr empfindlich; das kleinste Wort kann als Beleidigung aufgefaßt werden.«
»Ich finde, du solltest das weiße Gewand anziehen, das Fulrach dir geschenkt hat, Vater«, unterbrach ihn Tante Pol und öffnete eines der Gepäckstücke.
»Bitte, Pol«, sagte Wolf, »ich versuche, etwas zu erklären.«
»Sie haben dich gehört, Vater. Du neigst dazu, die Dinge zu sehr in die Länge zu ziehen.« Sie hielt das weiße Gewand hoch und betrachtete es kritisch. »Du hättest es sorgfältiger falten sollen. Jetzt ist es zerknittert.«
»Ich werde das Ding nicht anziehen«, sagte er entschieden.
»Doch, du wirst, Vater«, sagte sie honigsüß. »Vielleicht müssen wir ein oder zwei Stunden darüber streiten, aber schließlich wirst du es doch tragen müssen. Warum also nicht gleich die Zeit und den Ärger sparen?«
»Es ist so albern«, beschwerte er sich.
»Viele Dinge sind albern, Vater. Ich kenne die Arendier besser als du. Dir wird mehr Respekt entgegengebracht, wenn du nach etwas aussiehst. Mandorallen, Hettar und Barak werden ihre Rüstung tragen; Durnik, Silk und Garion können die Westen anziehen, die Fulrach ihnen in Sendarien gegeben hat; ich werde mein blaues Gewand tragen und du deinen weißen Mantel. Ich bestehe darauf, Vater.«
»Du tust was? Jetzt hör mal zu, Polgara…«
»Sei still, Vater«, sagte sie geistesabwesend und musterte Garions blaue Weste.
Wolfs Gesicht verdunkelte sich, seine Augen traten gefährlich hervor.
»Ist noch was?« fragte sie mit einem gleichgültigen Blick.
Meister Wolf ließ das Thema fallen.
»Er ist wirklich so klug wie man sagt«, stellte Silk fest.
Eine Stunde später waren
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