Zauber der Vergangenheit
Bissen meines Brotes herunter. Rose stellte das Tablett vorsichtig auf dem kleinen Tischchen ab und verabschiedete sich herzlich von uns.
»Miss Violet, es war mir eine Freude Sie kennenzulernen«, sagte sie und machte einen kurzen Knicks. Ich tat es ihr nach.
»Mich hat es auch gefreut«, sagte ich. »Und vielen Dank, für alles.« Sie lächelte.
Drew machte zum Abschied eine kurze Verbeugung. Dann nahm er meine Hand und führte mich nach draußen.
Eine leichte Brise wehte durch die Straße und die Sonne schien warm von einem strahlend blauen Himmel herab. Auf der Straße war einiges los. Ich konnte den Geruch der Pferde vor den Kutschen wahrnehmen. Er war zwar keine Wohltat für die Nase, aber auf jeden Fall angenehmer als die Abgase der Autos, die hier in der Zukunft entlangfahren würden. Drew schlug zielstrebig eine Richtung ein.
»Wo gehen wir denn hin?«, fragte ich neugierig.
»Wir gehen erst mal zur Universität. Ich hab mir überlegt, dass es in der Bücherei eventuell frühe Aufzeichnungen geben könnte, die uns vielleicht weiterhelfen oder zumindest einen Hinweis darauf geben, wie wir aus dieser Sache wieder rauskommen.«
»Kann man da denn einfach so rein?«, fragte ich.
»Ich denke schon«, antwortete er. »Zumindest als Mann«, fügte er hinzu und warf mir einen unschuldigen Seitenblick zu.
»Wie meinst du das?«, fragte ich provokant.
»Frauen ist der Zutritt zu dieser Zeit noch verboten«, antwortete er.
»War ja klar! Und was bedeutet das jetzt? Dass ich wie ein Hund draußen warten muss?« Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. Die Situation war ihm sichtlich unangenehm.
»Leider ja.« Er zuckte verlegen mit den Schultern.
»Na, wie schmeichelhaft.« Ich setzte eine verdrossene Miene auf.
»Ich kann doch auch nichts dafür. Das war zu dieser Zeit halt so«, entgegnete er entschuldigend.
»Ich weiß. Ich würde nur auch so gerne etwas Nützliches tun«, seufzte ich.
»Naja, du könntest, solange ich drin bin, ja mal diesen Kamm benutzen.« Er grinste und zog einen hölzernen Kamm aus seiner Jackentasche. »Du siehst ein bisschen aus wie Whoopy Goldberg in Sister Act.«
»Mit dem Unterschied, dass ich keine Nonne bin.« Ich nahm ihm den Kamm ab und versuchte meine Mähne zu bändigen.
»Das wäre auch sehr schade«, sagte er.
»Warum das?«, fragte ich irritiert.
»Als Nonne dürftest du nicht fluchen. Und ich finde es eigentlich ganz süß und amüsant, wenn du dich aufregst. Du kriegst dann immer dieses zornige Funkeln in den Augen, als wolltest du mich gleich auffressen oder Feuer speien oder so.« Er machte einen wütenden Drachen nach.
»Haha, sehr lustig«, entgegnete ich und knuffte ihn in die Seite.
Als wir vor den Toren der Uni standen, musste ich, wie bereits befürchtet, draußen bleiben. Es war irgendwie entwürdigend, aber was wollte man machen. Ich konnte ja auch nicht die ganze Zeit wie ein kleines Kind an Drews Rockzipfel hängen.
»Ich versuche mich zu beeilen, so gut es geht«, sagte er.
»Weißt du denn überhaupt, wo die Bibliothek ist?«, fragte ich.
»Violet, ich studiere hier. Hast du das vergessen? Ich kenne mich also aus.«
Oh ja, das hatte ich tatsächlich vergessen. Drew studierte Geschichte im dritten Semester. Da wunderte es mich auch nicht mehr, dass er das Ganze hier als ein großes Abenteuer betrachtete. Das war ja praktisch so etwas wie eine einmalige Vor-Ort-Recherche für ihn.
»Ich bin so schnell wie möglich wieder hier«, sagte er und betrat das Gelände.
Ich sah ihm nach, bis er durch das Eingangsportal verschwunden war. Ich musste mich wohl oder übel damit zufriedengeben, die Universität von außen zu bewundern. Der Campus war viel kleiner als zu unserer Zeit. Trotzdem machte das Gebäude optisch einiges her mit seinen hunderten von Zinnen und den vielen Türmchen. Gleich nebenan gab es einen Park. Ich ließ mich im Schatten eines Baumes auf der niedrigen Mauer nieder, die das Gelände umgab, und starrte auf die Eingangspforte. Mir blieb nichts anderes übrig, als hier zu warten. Versonnen hing ich meinen Gedanken nach. Was machte wohl meine Mutter gerade? Hatte sie schon bemerkt, dass ich verschwunden war? Sie war bestimmt in heller Aufregung. Wenn ich ihr doch nur eine Nachricht zukommen lassen könnte, dass es mir gut ging. Aber würde sie das wirklich beruhigen?
Ich erwachte erst wieder aus meiner Starre, als mir ein Blatt in den Schoß fiel und dann noch eines und noch eines. Über mir raschelte es. Irgendetwas bewegte
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