Zauber der Versuchung: Roman (German Edition)
Aufdringlichkeit eines jungen Welpen beäugt.
»Champagner?«, erklang die Stimme eines Kellners neben ihr.
»Ja, danke«, sagte sie geistesabwesend und nahm das ihr dargebotene Glas. Hier stimmte etwas nicht, und sie war sich nicht sicher, ob sie herausfinden wollte, was es war, oder lieber fliehen. Auf jeden Fall aber würde sie nicht abwarten, bis Harry zurückkehrte, obwohl sie ihn nicht in dem Glauben lassen durfte, dass auch nur der Hauch einer Chance bestand, ihre Affäre wiederaufleben zu lassen. Sie brauchte etwas, womit sie ihn ablenken konnte. Und was Harry brauchte, war eine nette Frau, die eine nette Ehefrau für ihn abgeben könnte. Natürlich nicht Judith, aber irgendwen. Es musste doch eine Frau geben, die sie ihm vorstellen konnte! Vorzugsweise in diesem Raum. Es wäre nicht angebracht, Harry weiterhin glauben zu lassen...
»Ich habe nie verstanden, was du an ihm fandest.«
»Er ist sehr nett und recht amüsant, wenn man... was?« Erschrocken drehte sie sich um und stöhnte. »Guter Gott, nicht du!«
Samuel, Viscount Nottingdon, lächelte ihr zu. »Ist das eine Art, einen alten Freund zu begrüßen?«
Einen Moment lang starrte sie ihn sprachlos an, bevor sie sich ein Lächeln abrang. »Nein, selbstverständlich nicht. Ich bin lediglich überrascht, weiter nichts.«
»Ach ja? Dachte ich mir.« Er lachte und nippte an seinem Wein.
Anders als bei Harry, hatten sich Judiths und Samuels Wege während der drei Jahre seit dem Ende ihres Abenteuers regelmäßig gekreuzt. Sie waren hin und wieder zu derselben Party oder demselben Ball eingeladen, wobei die Gesellschaften jeweils so groß waren, dass sie sich auf ein freundliches Nicken oder den kurzen Austausch von Nettigkeiten beschränken konnten. Meist hatte Samuel von sich aus eine gewisse Distanz gewahrt. Judith machte sich nicht vor, dass er es tat, weil sie ihm das Herz gebrochen hatte oder dergleichen. Sie trennten sich seinerzeit, lange bevor jemand zu Schaden hätte kommen können. Aber wie immer war sie diejenige gewesen, die es beendet hatte. Und bei ihm hatte sie das Gefühl gehabt, es hätte vor allem seinen Stolz verletzt.
»Es ist schön, dich zu sehen, Samuel.«
»Ist es?«, er sah sie fragend an. »Warum?«
»Weil es immer schön ist, einen alten Freund zu sehen«, antwortete sie betont höflich.
»Du lügst, und darin warst du nie gut.« Er nippte an seinem Glas und betrachtete sie über den Rand hinweg.
»Ganz im Gegenteil, Mylord«, sagte sie lächelnd, wenngleich ihr nicht danach war. »Ich war schon immer eine begnadete Lügnerin.«
»Nein, Judith, eine begnadete Lügnerin hätte mir das Gefühl gegeben, als wäre ich derjenige gewesen, der es beendete. Du bist nachgerade enervierend aufrichtig. Freundlich, aber ehrlich.« Er seufzte theatralisch. »Doch immerhin hast du mich gelehrt, mich niemals in eine freundliche, aber ehrliche Frau zu verlieben.«
»Jetzt redest du aber Unsinn«, schalt sie ihn lachend. »Du warst niemals in mich verliebt.«
»Nein, natürlich nicht«, sagte er zynisch. »So närrisch bin ich nicht.« Dann lachte er leise. »Ebenso wie du nicht närrisch genug warst, dich in mich zu verlieben.«
»Das wäre fürwahr närrisch gewesen«, bestätigte sie erleichtert und nahm einen großen Schluck von ihrem Champagner. Im Gegensatz zu Harry unterlag Samuel wenigstens keinerlei Illusionen in Bezug darauf, was ihre Affäre gewesen war oder was sie heute sein könnte. Harrys Verhalten war ihr nach wie vor vollkommen unverständlich.
»Ich hege jedoch den Verdacht, dass irgendjemand glaubt, es läge Narretei in der Luft.«
Judith war verwirrt. »Was in aller Welt meinst du damit?«
Erst nachdem er eine Weile überlegt hatte, fragte er: »Wusstest du wirklich nicht, dass ich heute Abend hier sein würde?«
Sie schüttelte den Kopf. »Warum hätte ich es wissen sollen?«
»Da gibt es etwas, dass ich dir erzählen müsste«, meinte er bedächtig. »Ich würde es allerdings für das Beste halten, wenn wir dieses Gespräch in einem privateren Rahmen als diesem Ballsaal fortsetzen.«
Sie betrachtete ihn skeptisch. »Du bist nicht der erste Gentleman heute Abend, der mich unter vier Augen sprechen möchte.«
»Und ich könnte mir vorstellen, dass ich auch nicht der letzte bin«, erwiderte er mit einem anzüglichen Lächeln.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich dir trauen kann.«
»Kannst du selbstverständlich nicht.« Er sah ihr in die Augen. »Ich würde es jedenfalls nicht.«
Sie lächelte.
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