Zauber-Schloss
Haarsträhnen umher, doch wie üblich ohne jeden Erfolg. Sie wurde aus Dors Griff gerissen und in den Himmel emporgehoben.
Dann stürzten sich etwa zehn weitere Harpyien auf Dor selbst. Ihre Klauen krallten sich um seine Vorder- und Oberarme, um seine Unter- und Oberschenkel, in sein Haar und in seinen Gürtel. Die Krallen waren gerundet und besaßen keine scharfen Schneidekanten, deshalb taten sie ihm auch nicht allzusehr weh, solange er nicht in Kontakt mit ihren Spitzen geriet. Sie umschlangen ihn vielmehr wie Fesseln. Die schmierigen Flügel flatterten kraftvoll, und er wurde in ihrer stinkenden Mitte emporgetragen.
Sie trugen ihn über das Wasser und hinauf in Höhe der Baumkronen, so daß sein herabhängendes Hinterteil beinahe die Wipfel streifte. Sie trugen ihn weiter durch den Wald, bis sie an eine Bodenspalte kamen, wo sie hinunterflatterten. Das war nicht die Spalte, sie war viel kleiner, eher wie die Ritze, in die er auf dem fliegenden Teppich eingedrungen war. Konnte das vielleicht dieselbe Ritze sein?
Nein, das war nicht der richtige Ort, und die Landschaft sah auch ganz anders aus. In den klippenähnlichen Wänden befanden sich schmutzige Löcher: Höhlen, die von den Harpyien gegraben worden waren, um dort ihre Nester zu bauen. Sie trugen ihn zu der größten Höhle und ließen ihn dort unsanft auf den schmierigen Boden hinabplumpsen.
Dor stand auf und wischte sich den Schmutz vom Leib. Millie war nicht hier, sie mußten sie in eine andere Höhle gebracht haben. Wenn es keine Verbindungsgänge gab, was allerdings ziemlich unwahrscheinlich war, da diese Wesen besser fliegen als gehen konnten, dann war er nicht dazu in der Lage, sie zu Fuß zu erreichen. Er besaß zwar noch immer sein Schwert, aber er konnte nicht darauf hoffen, daß es ihm gelingen würde, sämtliche Harpyien in dieser heruntergekommenen Harpyienstadt zu töten. Sie würden ihn schließlich doch überwältigen. Entweder wußten sie das und ließen ihm deswegen höhnisch seine Waffe, oder sie hatten einfach die mundanische Scheide auf seinem Rücken nicht erkannt. Das kam ihm wahrscheinlicher vor. Jetzt wußte er plötzlich diese Art der Befestigung zu schätzen! Es wäre töricht, wenn er den Besitz seiner Waffe durch ein verfrühtes Handeln offenbarte. Er würde abwarten müssen, bis er wußte, was sie von ihm wollten. Und wenn sie aus ihm nicht gerade ein Schnellgericht machen wollten, dann würde er erst dann kämpfen, wenn es sich nicht mehr vermeiden ließ.
Mit dem Heldentum war das so eine Sache: Die Gefahren waren überlebensgroß und die Düsterkeit noch viel düsterer als sonst. In seinem wirklichen Leben wäre er niemals in eine solche Lage gekommen!
Die Harpyien flatterten wieder davon und ließen eine besonders häßliche Alte bei ihm. »Mmh, wie knusprig du doch bist!« keckerte sie, und ihr strähniges, seilartiges Haar wirbelte wild herum, als sie ihren Kopf senkte wie ein pickendes Huhn. Vielleicht waren das ja auch Federn an ihrem Kopf, unter dem ganzen Dreck war das schwer auszumachen. »Gute Zähne, gute Muskeln, gutes Aussehen – ja, du bist genau der Richtige.«
»Der Richtige wofür?« fragte Dor kampflustiger, als er eigentlich war. Er hatte Angst.
»Für mein Küken«, gluckste die alte Henne. »Die Himmlische Helene, Königin der Harpyien. Wir brauchen immer abwechselnd einen Mann und einen Geier pro Generation.«
»Was habt ihr mit… dem Mädchen gemacht?« Dor war entschlossen, ihren Namen nicht preiszugeben, damit diese verdreckten Ungeheuer nicht annahmen, daß sie einander nahestünden. Dann könnten sie ihn nämlich zu etwas zwingen, indem sie sie folterten. Er wußte, daß Ungeheuer zu so etwas fähig waren. Das lag schließlich in der Natur von Ungeheuern.
Er hatte völlig recht gehabt. »Sie wird fürs Abendessen über einem Dungfeuer gekocht werden«, kreischte der verschlagene alte Vogel genüßlich. »Sie ist ja wirklich ein Leckerchen! Es sei denn, du tust, was wir von dir verlangen.«
»Aber ihr habt mir doch noch gar nicht gesagt, was ihr von mir verlangt!«
»Ach nein?« Der schmierige Vogel legte den Kopf schief und schielte ihn heimtückisch an. »Versuchst du vielleicht, Unschuld vorzutäuschen? Damit wirst du nicht weit kommen, mein hübsches Böcklein! Ab mit dir ins Nest!« Und sie breitete ihre widerlichen Schwingen aus und kam auf ihn zu. Wieder schlug ihm ihr Gestank entgegen, und er wich zurück – da stolperte er in eine Höhlenabzweigung. Also gab es hier doch
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