Zauberhafte Versuchung
Seite die Stufen zu dem Eckhaus aus roten Backsteinen hinauf. Fielding betätigte den Türklopfer, und keine zwei Minuten später wurden sie in ein Arbeitszimmer geführt und gebeten, in abgewetzten, aber bequem aussehenden Ledersesseln Platz zu nehmen.
Die Vorhänge waren zurückgezogen, um das Tageslicht in das nicht sehr große Arbeitszimmer einzulassen. Vielleicht wirkte der Raum aber auch wegen der vielen Bücherregale so klein, die alle vier Wände bedeckten und bis zur Zimmerdecke hinaufreichten. Esme hatte recht gehabt mit ihrer Annahme, dass Phillip eine umfangreiche Bibliothek besaß.
Esme strahlte geradezu beim Anblick der Bücher. Der Diener hatte kaum den Raum verlassen, als sie auch schon wieder aufsprang, um sie sich anzusehen und den Einband des einen oder anderen mit der Zärtlichkeit einer Geliebten zu berühren.
Fielding hätte vor Verzweiflung stöhnen können. Es war schon schlimm genug, von der Eifersucht auf Esmes blutarmen Gelehrten geplagt zu werden; da wollte er nicht auch noch auf die Bücher dieses Mannes eifersüchtig sein müssen!
Als Esme ein Geräusch vor der Tür hörte, zuckte sie fast schuldbewusst zusammen und kehrte schnell zu ihrem Platz zurück.
»Nun lernen wir uns also endlich kennen«, ließ sich eine Männerstimme von der Eingangshalle her vernehmen.
Esme begann, nervös an ihrem Rock herumzuzupfen.
Der Mann, dem die Stimme gehörte, kam mit einem Kätzchen auf dem Arm herein. Beim Anblick Fieldings blieb er überrascht stehen. »Mr. Grey! Was tun Sie denn hier?«
»Ich ... Mr. Nichols ist der Gelehrte, mit dem du korrespondierst?« Fielding hatte sich Esme zugewandt und ärgerte sich über die überwältigende Erleichterung, die ihn durchflutete. Erleichterung, weil er jetzt sicher sein konnte, dass nicht Mr. Nichols derjenige war, der dem Raben von Esmes Schlüssel erzählt hatte, aber auch, weil er Mr. Nichols wegen keine Eifersucht empfinden musste.
Esme runzelte die Stirn. »Ihr kennt euch?«
»Mr. Nichols ist Mitglied bei Solomon's und ist einer meiner Auftraggeber«, erklärte Fielding.
Nichols setzte die Katze sanft auf einen Sessel.
Esme sprang auf und ergriff die Hände des älteren Herrn. »Wie schön, Sie endlich persönlich kennenzulernen!«
»Auch ich bin hocherfreut, mein liebes Mädchen. Und das hier ist Pandy«, sagte er und bückte sich, um die kleine Katze kurz zu streicheln. Dann wandte er sich Fielding zu. »Und Sie, Sir, haben sich eine wirklich hochintelligente Mitarbeiterin für die Aufgabe ausgesucht, die Büchse der Pandora in Sicherheit zu bringen. Diese hübsche junge Frau hat mich mit ihrem Verständnis für alte wie auch neue Theorien zutiefst beeindruckt.«
Fielding verzichtete darauf, Nichols zu korrigieren. Es bestand für ihn kein Grund, Esmes Entführung ins Gespräch zu bringen, sofern nicht sie selbst das tun wollte.
»Nun denn, Miss Worthington und Mr. Grey - was kann ich für Sie tun?«, erkundigte sich der ältere Herr lächelnd.
Fielding konnte sich gut daran erinnern, wie nervös Mr. Nichols an jenem Tag bei Solomon's gewesen war, der jetzt, vermutlich Esme zuliebe, sehr darum bemüht war, sich seine Beunruhigung nicht anmerken zu lassen. Anscheinend war er genauso sehr darauf bedacht, seine Furcht vor ihnen zu verbergen, wie Esme es vermeiden wollte, dass er ihr Armband sah. Dennoch war nicht zu übersehen, dass Mr. Nichols die Hände zitterten und seine Stirn schweißbedeckt war.
»Nennen Sie mich doch bitte Esme, Phillip«, sagte sie, »jetzt, da wir uns persönlich kennen.« Sie saß auf der Kante ihres Sessels und achtete darauf, den Armreif an ihrem rechten Handgelenk bedeckt zu halten. »Bei meiner Lektüre bin ich auf einen Hinweis auf ein sogenanntes Biedermann'sches Tagebuch gestoßen. Haben Sie schon einmal davon gehört?«
Das Kätzchen hatte sich mittlerweile auf Nichols' rechter Schulter niedergelassen. »Das Biedermann'sche Tagebuch«, wiederholte Mr. Nichols langsam. »Ja, das kommt mir bekannt vor.« Er kratzte sich nachdenklich am Kinn. »Lassen Sie mich mal überlegen. Oder vielleicht sollte ich besser einen Blick in meine Notizen werfen.« Er holte mehrere kleine Bücher von seinem Sekretär und begann, sie durchzublättern. »Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gesehen, das weiß ich ganz bestimmt, ich muss ihn nur noch finden.« Er nahm ein zweites Buch zur Hand und hörte etwa in seiner Mitte auf, es durchzusehen. »Ah, da haben wir es ja auch schon.«
Esmes Augen funkelten vor
Weitere Kostenlose Bücher