Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
Brunnen zu trinken verursachte Durchfall und, wenn man Pech hatte, auch noch Fieber. Doch als Kennit dastand und über das Deck seines Schiffes blickte, sah er seine Leute eifrig und gut arbeiten. Selbst diejenigen Matrosen, die die Marietta mit den Beibooten in den Hafen zogen, legten sich mächtig in die Riemen. Denn für ihre Nasen bedeutete dieser Gestank sowohl Heim als auch Sold. Wie es Sitte war, würde ihr Anteil an der Beute auf Deck geteilt werden, sobald die Marietta sicher vertäut war. Und in einigen Stunden würden sie bis zum Nabel in Huren und Bier waten.
Aye, und noch vor Sonnenaufgang befand sich der größte Teil ihrer geraubten Beute in den Klauen der verweichlichten Wirte, der Hurentreiber und Geschäftemacher von Divvytown. Kennit schüttelte mitleidig den Kopf und tupfte sich erneut mit dem zitronenölgetränkten Tuch den Schnurrbart. Dann lächelte er kurz. Wenigstens würde seine Mannschaft diesmal abgesehen von ihrer Beute auch die Saat von Kennits Ehrgeiz über die Stadt verteilen. Noch vor dem morgigen Sonnenaufgang würde vermutlich halb Divvytown die Geschichte von Käpt’n Kennits Weissagung auf Anderland gehört haben. Er hatte vor, am heutigen Tag besonders großzügig zu seinen Männern zu sein, wenn die Beute aufgeteilt wurde. Er würde nicht damit protzen, aber er würde sich selbst nicht mehr als den doppelten Anteil der Mannschaft nehmen. Er wollte, dass die Taschen seiner Leute prall gefüllt waren. Er wollte, dass ganz Divvytown bemerkte und sich daran erinnerte, dass die Männer seines Schiffs immer mit gut gefüllten Taschen in den Hafen kamen.
Sollten sie es doch dem Glück und der Großzügigkeit ihres Kapitäns zuschreiben. Und sollten sie sich doch Gedanken darüber machen, ob dieses Glück und die Großzügigkeit nicht auch bald ganz Divvytown zugute kommen sollten.
Der Maat blieb respektvoll neben ihm stehen, während er sich auf das Geländer lehnte.
»Sorcor, siehst du diese kleine Klippe dort? Wenn man da einen Turm bauen würde, dann hätte man einen guten Blick über den Fluss. Und ein oder zwei Katapulte darunter könnten die Stadt vor jedem Schiff verteidigen, das unseren Kanal vielleicht entdeckt. Man könnte Divvytown nicht nur vor einem Angriff warnen, sondern es könnte sich auch noch selbst verteidigen. Was meinst du?«
Sorcor biss sich auf die Lippen, hielt sich aber ansonsten zurück. Jedesmal, wenn sie in den Hafen einliefen, machte Kennit ihm denselben Vorschlag. Und jedesmal antwortete der wettergegerbte Erste Maat dasselbe. »Wenn man genug Steine in diesem Sumpf hier finden würde, dann könnte man vielleicht einen Turm bauen und Steine heraufschleppen, um sie zu verschießen. Ich nehme an, das wäre möglich, Sir. Aber wer würde das bezahlen, und wer würde es beaufsichtigen?
Divvytown würde niemals lange genug aufhören, sich zu streiten, um so etwas bauen und bemannen zu können.«
»Wenn Divvytown einen Herrn hätte, der stark genug wäre, könnte er es erreichen. Es wäre nur eins von vielen Dingen, die er bewerkstelligen könnte.«
Sorcor sah seinen Kapitän wachsam an. Ihr Gespräch bewegte sich auf neues Territorium. »Divvytown ist eine Stadt freier Männer. Wir haben keinen Herrscher.«
»Das stimmt«, pflichtete Kennit ihm bei. Und fügte versuchsweise hinzu: »Und deshalb werden wir stattdessen von der Gier von Geschäftemachern und Hurentreibern regiert.
Sieh dich doch um. Wir riskieren unser Leben für unsere Beute, jeder einzelne Seemann. Aber wenn wir wieder die Anker lichten, wo ist dann unser Gold? Nicht in unseren Taschen jedenfalls. Und was wird ein Mann dafür vorweisen können?
Nichts als einen schmerzenden Kopf, es sei denn, er hatte das Pech, sich in einem Hurenhaus auch noch die Krätze zu holen.
Je mehr ein Mann in Divvytown ausgeben kann, desto teurer wird das Bier, das Brot oder das Weib. Aber du hast recht.
Divvytown braucht keinen Herrscher, sondern einen Anführer.
Ein Mann, der Männer aufrüttelt, sich selbst zu regieren, der sie aufweckt, damit sie die Augen öffnen und sehen, was sie haben könnten.«
Kennit ließ seinen Blick über die Männer schweifen, die mit gebogenem Rücken die Riemen eintauchten, als die Schiffsboote die Marietta in den Hafen schleppten. Nichts in seiner entspannten Haltung verriet Sorcor, dass dies eine sorgfältig einstudierte Rede war. Kennit hielt viel von seinem Ersten Maat. Er war nicht nur ein guter Seemann, sondern auch intelligent, trotz seiner begrenzten Bildung.
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