Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
Wenn Kennit ihn mit seinen Worten beeinflussen konnte, dann würden vielleicht auch die anderen anfangen zuzuhören.
Er sah Sorcor beiläufig ins Gesicht. Der Mann hatte die gebräunte Stirn gerunzelt, was die winzige Narbe betonte, die von seiner Sklaventätowierung übriggeblieben war. Er dachte lange und mühsam nach, bevor er sagte: »Wir sind hier freie Männer. Das war nicht immer so. Mehr als die Hälfte von denen, die hierherkamen, waren Sklaven oder sollten Sklaven werden.
Viele tragen noch ihre Tätowierung oder die Narben davon. Und der Rest, nun ja, den Rest erwartete der Galgen oder die Peitsche – dort, wo sie hergekommen sind. Vor ein paar Nächten habt Ihr von einem König für uns Piraten gesprochen.
Ihr seid nicht der erste, der davon spricht. Es scheint so, dass immer mehr Leute solche Ideen verkünden. Bürgermeister, Räte, Könige und Wachen. Aber davon hatten wir genug, da, wo wir hergekommen sind, und für die meisten von uns ist das der Grund, warum wir hier sind statt da. Keiner von uns will, dass irgendein Mann uns sagt, was wir tun sollen oder nicht.
Davon haben wir schon an Deck genug. Ich bitte um Verzeihung, Sir.«
»Daran nehme ich keinen Anstoß, Sorcor. Aber du solltest vielleicht in Betracht ziehen, dass Anarchie nur unorganisierte Unterdrückung ist.«
Kennit beobachtete Sorcors Gesicht und sah an der verwirrten Miene, dass er die falschen Worte gewählt hatte. Offenbar musste er seine Überredung in praktischere Worte verpacken. Er lächelte herzlich. »Jedenfalls würden das manche so sagen. Ich habe beides, mehr Vertrauen in meine Leute und eine größere Wertschätzung für einfache Worte. Was haben wir jetzt hier in Divvytown? Nun, eine lange Reihe von Schlägern. Erinnerst du dich noch daran, als Podee und seine Bande herumgelaufen sind, Leuten die Köpfe eingeschlagen und ihnen das Geld gestohlen haben? Es war beinahe allgemein akzeptiert, dass ein Seemann, der nicht mit seiner Mannschaft von Bord ging, noch vor Mitternacht zusammengeschlagen und ausgenommen wurde. Wenn sich nicht gleichzeitig drei Schiffsbesatzungen gegen Podee und seine Leute gewendet hätten, würde er immer noch weitermachen. Und jetzt gibt es mindestens drei Tavernen, in denen ein Mann, wenn er in eine dunkle Kammer tritt, statt der Hure, für die er bezahlt hat, einen Schlag auf den Kopf bekommt. Aber niemand unternimmt etwas dagegen. Das ist nur Sache des Mannes, der sich hat verprügeln und berauben lassen.«
Kennit warf Sorcor einen verstohlenen Blick zu. Der Erste Maat hatte zwar die Stirn gerunzelt, aber er nickte. Eine merkwürdige Begeisterung durchfuhr Kennit, als er bemerkte, dass der Mann am Steuerrad genausoviel auf ihre Unterhaltung achtete wie auf den Kurs des Schiffes. Zu jeder anderen Gelegenheit hätte Kennit ihn gerüffelt. Aber jetzt fühlte er deswegen nur einen kleinen Triumph. Doch im selben Augenblick wie sein Kapitän bemerkte auch Sorcor den unaufmerksamen Seemann.
»Hey, du da, pass auf! Halt das Schiff auf Kurs, statt deine Vorgesetzten zu belauschen!«
Sorcor sprang auf den Mann zu. Sein Blick verhieß Prügel. Der Matrose verzog das Gesicht, um den Schlag einzustecken, zuckte aber nicht zusammen und verließ auch nicht den Posten.
Kennit überließ es Sorcor, den Mann als faulen Idioten zu beschimpfen, und schlenderte weiter. Das Deck unter seinen Stiefeln war so weiß, wie Sand und Steine es machen konnten.
Wo er auch hinschaute, sah er Präzision und Fleiß. Jeder Matrose an Bord hatte etwas zu tun, und alle Ausrüstungsgegenstände, die gerade nicht benutzt wurden, waren sorgfältig verstaut. Kennit nickte. Das war nicht so gewesen, als er vor fünf Jahren auf die Marietta gekommen war. Damals war sie genauso schlampig geführt worden wie alle anderen Piratenschiffe. Und der Kapitän, der ihn mit einem Fluch und einem Schlag an Bord begrüßt hatte, war genauso schmierig gewesen wie seine Mannschaft und hatte sich genausowenig von ihnen unterschieden wie jeder Schläger in einer Bande Wegelagerer.
Aber gerade deshalb hatte Kennit sich die Marietta ausgesucht.
Ihre Umrisse unter dem Dreck von jahrelanger Vernachlässigung waren wundervoll. Und der Kapitän war reif, über Bord zu gehen. Jeder Schiffsführer, der nicht die Macht besaß, seinem Maat die Flüche und die Schläge zu überlassen, war ein Mann, dessen Herrschaft sich dem Ende neigte. Kennit brauchte siebzehn Monate, um den Kapitän zu stürzen, und weitere vier, um dafür zu sorgen, dass sein Maat
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