Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler
musste. Sie würde sich nicht auch noch aufregen, indem sie mit ihm redete. Das Gewühl von Fußgängern und Kutschen, die Schreie der Händler, die Gerüche der Restaurants und Teeläden befremdeten sie. Wenn sie und ihr Vater angelegt hatten, dann erwartete sie normalerweise ihre Mutter. Sie gingen zu Fuß über die Hafenanlagen, und ihre Mutter plapperte ohne Unterlass von dem, was alles passiert war, seit sie den Hafen verlassen hatten. Höchstwahrscheinlich wären sie an einem der Teeläden stehen geblieben und hätten sich frische, warme Brötchen und kalten Tee gekauft, bevor sie den Rest des Weges zurücklegten. Althea seufzte.
»Althea? Geht es dir gut?«
Kyle störte ihre Träumereien.
»So gut wie ich erwarten kann, danke der Nachfrage«, erwiderte sie steif.
Er war unruhig und räusperte sich, als wollte er noch etwas sagen. Sie wurde jedoch von dem Jungen gerettet, der das Pferd direkt vor ihrem Haus zum Stehen brachte. Er stand neben dem Einspänner und hielt ihr die Hand hin, bevor Kyle sich rühren konnte. Sie lächelte ihn an, als sie herunterstieg, und er grinste. Einen Moment später flog die Tür des Hauses auf, und Keffria stürzte heraus. »Oh, Kyle!«, rief sie. »Kyle, ich bin so froh, dass du zu Hause bist. Es ist alles so schrecklich!«
Seiden und Malta folgten ihrer Mutter auf den Fersen, als sie vorstürmte und ihren Ehemann umarmte. Ein anderer Junge folgte ihnen verlegen. Er kam ihr seltsam bekannt vor.
Vermutlich ein Cousin oder ein anderer Verwandter.
»Ich finde es auch schön, dich zu sehen, Keffria«, meinte Althea sarkastisch und ging zur Tür.
Im Haus war es kühl und schattig. Althea blieb einen Moment stehen und wartete, bis sich ihre Augen an das gedämpfte Licht gewöhnten. Eine Frau, die sie nicht kannte, tauchte ein Handtuch in ein Becken mit parfümiertem Wasser und bot es ihr an.
Althea winkte ab. »Nein, danke. Wo ist mein Vater? Im Wohnzimmer?«
Sie glaubte einen Moment, Mitleid in den Augen der anderen Frau zu sehen. »Es ist schon Tage her, seit es ihm gut genug ging, diesen Raum zu genießen, Mistress Althea. Er ist in seinem Schlafzimmer und Eure Mutter ist bei ihm.«
Altheas Schuhe klatschten laut auf dem gefliesten Boden, als sie den Flur entlanglief. Noch bevor sie die Tür erreichte, kam ihre Mutter heraus. Ihre Miene war besorgt. »Was ist hier los?«, wollte sie wissen, und als sie Althea sah, schien sie erleichtert.
»Oh, ihr seid wieder da! Und Kyle?«
»Er ist draußen. Ist Vater noch krank? Es sind doch Monate vergangen. Ich habe gedacht, dass er…«
»Dein Vater liegt im Sterben, Althea«, erklärte ihre Mutter.
Als Althea vor dieser schrecklichen Mitteilung zurückprallte, sah sie die Trostlosigkeit im Blick ihrer Mutter. Tiefe Linien hatten sich in ihr Gesicht eingegraben, Linien, die vorher noch nicht dagewesen waren. Ihr Mund wirkte verbissen, und ihre Schultern waren gebeugt. An beides konnte sich Althea nicht erinnern. Selbst als ihr vor Schreck fast das Herz stehen blieb, erkannte sie, dass die Worte ihrer Mutter nicht grausam, sondern hoffnungslos waren. Sie hatte ihr die Nachricht schnell überbracht, als hoffe sie, ihr den Schmerz der langsamen Erkenntnis ersparen zu können.
»O Mutter!«, rief sie und trat auf sie zu, aber ihre Mutter schlug mit den Händen nach ihr, als verbitte sie sich jede Zärtlichkeit. Althea blieb sofort stehen. Ronica Vestrit war nie für tränenreiche Umarmungen und Tränen an der Schulter gewesen. Sie wurde vielleicht von ihrem Leid gebeugt, aber unterkriegen ließ sie sich davon nicht.
»Geh zu deinem Vater«, sagte sie zu Althea. »Er fragt beinahe stündlich nach dir. Ich muss mit Kyle sprechen. Es sind einige Vorbereitungen zu treffen, und wir haben nicht viel Zeit, fürchte ich. Geh zu ihm, jetzt. Geh.«
Sie klopfte Althea zweimal kurz auf den Arm und eilte dann an ihr vorbei. Althea hörte ihre Schritte und das Rascheln ihrer Röcke, als sie den Flur entlangging. Sie sah ihr kurz nach und öffnete dann die Tür zum Schlafzimmer ihres Vaters.
Dieser Raum war ihr nicht vertraut. Als kleines Kind war er ihr verboten worden. Wenn ihr Vater von seinen Reisen nach Hause gekommen war, dann hatten er und ihre Mutter hier Zeit miteinander verbracht. Althea hatte es gehasst, wenn sie ihre Ruhe nicht hatte stören dürfen. Als sie alt genug gewesen war, um zu verstehen, warum ihre Eltern Zeit alleine schätzten, hatte sie den Raum absichtlich gemieden. Trotzdem erinnerte sie sich an das Zimmer. Es war
Weitere Kostenlose Bücher