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Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler

Titel: Zauberschiffe 01 - Der Ring der Händler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Traum«, sagte sie gewinnend. Dann lächelte sie Althea an. Es war ein Lächeln, das sowohl scheu als auch fröhlich war. »Ich danke dir so sehr dafür, dass du mich erweckt hast.«
    »Gern geschehen«, erwiderte Althea atemlos. »Oh, du bist noch viel schöner, als ich mir es vorgestellt habe.«
    »Danke«, erwiderte das Schiff mit der ernsthaften Aufrichtigkeit eines Kindes. Sie ließ Altheas Hände los und strich sich Farbe von Haar und Gesicht, als wären es Herbstblätter. Brashen zog Althea unvermittelt auf das Deck zurück und stellte sie auf die Planken. Er war rot im Gesicht, und Althea bemerkte plötzlich, dass Kyle leise und wütend mit ihm sprach.
    »… und wirst für immer von diesem Deck verschwinden, Trell, und zwar auf der Stelle!«
    »Das ist richtig. Das werde ich.«
    Irgendwie schaffte es Brashen, mit dem Klang seiner Stimme Kyles Entlassung von sich abzuschütteln und es zu seinem eigenen, verächtlichen Abschied zu machen. »Lebt wohl, Althea.«
    Seine Stimme klang plötzlich wieder förmlich, als er mit ihr redete. Und als würde er sich von einer gesellschaftlichen Einladung verabschieden, drehte er sich um und entbot als Nächstes Altheas Mutter seinen Gruß. Seine Gelassenheit schien die Frau zu erschüttern, denn obwohl sich ihre Lippen bewegten, sagte sie kein Wort.
    Doch Brashen drehte sich um und ging gelassen über das Deck, als ob absolut nichts passiert wäre. Noch bevor Althea sich davon erholen konnte, stürzte sich Kyle auf sie.
    »Hast du den Verstand verloren? Was ist in dich gefahren, dass du ihm erlaubst, dich so zu berühren?«
    Sie schloss die Augen und öffnete sie dann wieder. »Wie ›so‹?«, fragte sie benommen. Sie beugte sich über das Geländer und sah auf Viviace hinab. Die Galionsfigur drehte sich um und lächelte sie an. Es war ein verwirrtes Lächeln, das Lächeln einer Person, die gerade erst an einem schönen Sommermorgen aufgewacht und noch nicht ganz bei Sinnen war. Althea erwiderte das Lächeln traurig.
    »Du weißt sehr genau, wovon ich spreche! Seine Hände waren überall auf dir! Es ist schon schlimm genug, dass du wie eine schmutzige Schlampe aussiehst, aber dass du dich dann auch noch von einem Matrosen packen und kopfüber halten lässt…«
    »Ich musste den Pflock hineinschieben. Es war die einzige Möglichkeit heranzukommen.«
    Sie sah an Kyle vorbei, dessen Gesicht vor Ärger rote Flecken hatte, und musterte ihre Mutter und ihre Schwester. »Das Schiff ist erwacht«, verkündete sie leise, aber formell. »Das Lebensschiff Viviace ist jetzt bei Bewusstsein.«
    Und mein Vater ist tot. Sie sprach die Worte nicht laut aus, aber ihre Realität traf sie erneut tiefer und schärfer als zuvor. Es kam ihr so vor, als ob die Erkenntnis jedesmal, wenn sie dachte, dass sie die Tatsache seines Todes endlich begriffen hatte, noch härter zuschlug.
    »Was sollen die Leute von ihr denken?«, fragte Kyle Keffria mit einem anzüglichen Unterton. Die beiden jüngeren Kinder starrten sie einfach nur an, während der ältere Junge, Wintrow, den Blick abgewendet hatte, als bereite die Gegenwart all dieser Menschen ihm Unbehagen. Althea hatte das Gefühl, dass sie nicht fassen konnte, was um sie herum passierte. Es war zuviel geschehen, und die Ereignisse schienen sich zu überstürzen.
    Kyles Versuch, sie vom Schiff zu vertreiben, der Tod ihres Vaters, das Erwachen des Schiffes, die Entlassung von Brashen und jetzt Kyles Ärger, weil sie etwas getan hatte, was schlicht notwendig gewesen war. Es schien zuviel für sie, um damit fertig zu werden, aber gleichzeitig fühlte sie sich schrecklich leer. Sie suchte in ihrem Inneren und versuchte zu entdecken, was sie vergessen oder vernachlässigt hatte.
    »Althea?«
    Es war Viviace, die sie beunruhigt rief. Althea beugte sich über die Reling und seufzte beinahe.
    »Ja?«
    »Ich kenne deinen Namen. Althea.«
    »Ja. Danke, Viviace.«
    Und in diesem Moment wusste sie, was diese Leere hervorrief. All das, was sie erwartet hatte zu empfinden, die Freude und das Staunen über das Erwachen des Schiffes. Dieser Moment, den sie so lange herbeigesehnt hatte, war gekommen und verflogen. Viviace war erwacht. Und bis auf den ersten Anflug von Triumph fühlte sie nichts von all dem, was sie erwartet hatte. Dafür war der Preis zu hoch gewesen.
    In dem Moment, als ihr dieser Gedanke durch den Kopf ging, wünschte sie, dass sie ihn nicht gedacht hätte. Es war der schlimmste Verrat, auf diesem Deck zu stehen, nicht weit vom Leichnam ihres

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