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Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen

Titel: Zauberschiffe 02 - Viviaces Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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allgemeine Vernachlässigung, die Wintrow im Hafenviertel gesehen hatte.
    Die Galeeren und Galeonen von Jamaillias Patrouillenflotte waren hier vertäut. Algen und Muscheln bedeckten ihre Rümpfe, und die strahlend weiße Farbe, die einmal verkündet hatte, dass sie die Interessen des Satrapen vertraten, blätterte allmählich von ihren Planken ab. Es war kein Wunder, dass die Piraten ungehindert ihr Unwesen auf den Inneren Wasserwegen treiben konnten.
    Jamaillia-Stadt war die größte Stadt der Welt, das Herz und das Licht der Zivilisation – und gammelte bereits an ihren Rändern.
    Sein ganzes Leben lang hatte Wintrow Gerüchte über diese Stadt gehört, ihre wunderbare Architektur und ihre Gärten, ihre breiten Promenaden, ihre Tempel und Bäder. Nicht nur der Palast des Satrapen, sondern auch viele andere Gebäude verfügten über fließendes Wasser und Abwassersysteme. Er schüttelte den Kopf, als er zögernd an einem weiteren verstopften Rinnstein vorüberging.
    Wenn das Wasser sich hier staute und alles verstopfte, wieso sollte es dann weiter oben in der Stadt besser aussehen?
    Vielleicht war die Lage auf den breiten Durchgangsstraßen ja nicht so schlimm, aber das würde er niemals herausfinden.
    Jedenfalls nicht, wenn er seinem Vater und den Suchtrupps entkommen wollte, die er ihm wahrscheinlich hinterherschickte.
    Allmählich verbesserte sich der Zustand der Stadt. Wintrow begegnete Händlern, die bereits in aller Frühe Brötchen, geräucherten Fisch und Käse feilboten. Der Duft ließ ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen. Türen gingen auf und Ladenbesitzer traten heraus, um die Läden von den Fenstern zu nehmen, damit die Fußgänger ihre Waren betrachten konnten. Je mehr Fahrzeuge und Fußgänger die Straßen bevölkerten, desto besser wurde Wintrows Stimmung. In einer Stadt dieser Größe und unter so vielen Menschen konnte sein Vater ihn doch bestimmt unmöglich finden.
    Viviace starrte über das helle Wasser auf die weißen Mauern und Türme von Jamaillia-Stadt. Nach Stunden gerechnet war es noch nicht lange her, dass Wintrow verschwunden war. Aber ihr kam es bereits wie mehrere Lebensalter vor, seit er die Ankerkette heruntergeklettert und weggeschwommen war. Die anderen Schiffe hatten ihn ihrem Blick entzogen. Sie war nicht einmal ganz sicher, ob er überhaupt unversehrt das Ufer erreicht hatte. Vor einem Tag hätte sie noch behauptet, dass sie gespürt hätte, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Aber vor einem Tag hätte sie auch geschworen, dass sie ihn besser kannte als er sich und dass er sie niemals verlassen würde. Wie dumm war sie doch gewesen!
    »Du musst doch gemerkt haben, dass er verschwunden ist!
    Warum hast du keinen Alarm geschlagen? Wo ist er hingegangen?«
    Holz, dachte sie. Ich bin nur aus Holz. Holz muss nichts hören, und Holz muss auch nicht antworten.
    Holz sollte eigentlich auch nichts empfinden. Sie starrte zur Stadt hinüber. Irgendwo dort drüben lief Wintrow herum. Frei von seinem Vater und auch ihrer ledig. Wie hatte er das Band zwischen ihnen so einfach kappen können? Ein bitteres Lächeln umspielte ihre Lippen. Vielleicht war das ja typisch für die Vestrits. Hatte Althea sie nicht auf dieselbe harsche Art und Weise verlassen?
    »Antworte!«, verlangte Kyle gebieterisch.
    Torg redete leise auf seinen Kapitän ein. »Es tut mir sehr leid, Sir. Ich hätte den Jungen schärfer beobachten müssen. Aber wer hätte das vorhersehen können? Warum sollte er nach allem, was Ihr für ihn getan habt, weglaufen? Bei allem, was Ihr noch mit ihm vorhattet? Das macht für einen einfachen Mann wie mich keinen Sinn. Eine solche Undankbarkeit kann einem Vater das Herz brechen.«
    Die Worte schienen als Trost gemeint zu sein, aber Viviace wusste, dass jedes Wort, das Torg vermutlich aus Mitgefühl äußerte, Kyles Wut auf Wintrow nur noch verstärkte.
    Und auch die auf sie.
    »Wohin ist er gegangen? Und wann? Verdammt, antworte mir!«
    Kyle tobte. Er beugte sich über die Reling und wagte es, eine schwere Locke ihres Haars zu ergreifen und daran zu ziehen.
    Viviace zuckte schnell wie eine Schlange herum und fegte ihn mit einem Schlag ihrer offenen Hand weg, wie ein Mensch eine lästige Katze vertreibt. Kyle segelte rücklings auf das Deck, erschrocken und starr vor Angst. Torg floh, stolperte in seiner Hast und krabbelte auf allen vieren davon. »Gantry!«, brüllte er. »Gantry, schnell hierher!«
    Er hastete davon und suchte den Ersten Maat.
    »Verflucht sollst du sein, Kyle Haven«,

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