Zauberschiffe 03 - Der Blinde Krieger
verwandte, hatte Kennit zugelassen, dass sie ihn umstimmten. Trotzdem wurde es Zeit, sich von ihr zu trennen. Es war das Beste, was er tun konnte. Ein Piratenschiff war kein Heim für kaputte Seelen.
Er bedeutete ihr, zu ihm zu kommen. Sie machte einen zögernden Schritt.
»Was habt Ihr mit ihr vor?«, fragte Viviace leise aus dem Schatten.
»Ich will ihr nichts Böses tun. Ihr kennt mich mittlerweile gut genug, um das zu wissen.« Er sah kurz zu Wintrow hinüber. »Wir wollen den Jungen nicht wecken.« Seine Stimme klang freundlich.
Die Galionsfigur schwieg einen Moment. »Ich spüre, dass Ihr glaubt, das Richtige für sie zu tun. Aber ich begreife nicht, was es ist.« Nach einer Weile fuhr sie fort: »Ihr schließt mich aus. Es gibt Stellen in Eurem Herzen, die Ihr mir noch nie zugänglich gemacht habt. Ihr habt Geheimnisse vor mir.«
»Ja. So wie auch Ihr Geheimnisse vor mir habt. In dieser Angelegenheit müsst Ihr mir vertrauen. Könnt Ihr das?« Die Frage war ein kleiner Test.
Sie schwieg. Er ging weiter, vorbei an Ankle, die sich leicht duckte, als er sie passierte. Dann nahm er ihren Platz an der Reling ein und beugte sich zu dem Schiff hinunter. »Guten Abend, schöne Seelady«, begrüßte er das Schiff, als wären es die ersten Worte, die er zu ihr gesagt hatte. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern im Wind.
»Es ist wohl eher eine gute Nacht, Sir«, antwortete sie ebenso leise.
Er streckte die Hand aus, und sie drehte sich um, damit sie ihre großen Finger in seine legen konnte. »Ich nehme an, Euch geht es gut. Sagt mir…« Er deutete auf das Panorama von verstreuten Inseln vor ihnen. »Was haltet Ihr von meinen Inseln, jetzt, da Ihr ein bisschen von ihnen gesehen habt?«
Sie brummte herzlich. »Sie haben eine einzigartige Schönheit an sich. Die Wärme des Wassers, die Nebelschwaden, die sie verhüllen und enthüllen… Selbst die Seevögel, die sich hier zusammenscharen, sind anders. Sie sind bunter und singen vielfältiger als die meisten anderen Vögel. Ich habe solches Gefieder nicht mehr gesehen, seit Kapitän Vestrit mich auf eine Reise in die Südlande geführt hat…« Sie verstummte.
»Ihr vermisst ihn noch, hab ich Recht? Er war sicher ein großartiger Kapitän und hat Euch viele wundersame Orte gezeigt. Aber wenn Ihr mir vertraut, Mylady, dann werden wir gemeinsam Orte sehen, die noch viel exotischer und aufregender sind.« Er klang fast eifersüchtig, als er weiterredete. »Erinnert Ihr Euch so gut an ihn? Ich dachte, Ihr wärt damals noch nicht erwachsen gewesen.«
»Ich erinnere mich an ihn wie an einen guten Traum am Morgen. Es ist zwar nichts sehr deutlich, aber ein Duft, ein Horizont oder der Geschmack einer Strömung kommt mir vertraut vor, und damit kommt die Erinnerung. Wenn Wintrow mit mir spricht, ist es deutlicher. Ich kann ihm weit mehr Erinnerungen übermitteln, als ich aussprechen kann.«
»Verstehe.« Er wechselte das Thema. »Trotzdem seid Ihr noch nie hier gewesen, stimmt's?«
»Nein. Kapitän Vestrit hat die Piraten-Inseln gemieden. Wir sind an ihnen vorbeigesegelt, und zwar so weit östlich, wie es nur ging. Er sagte immer, dass es besser wäre, Schwierigkeiten zu vermeiden, als mit ihnen fertig werden zu müssen.«
»Aha.« Kennit sah an ihr vorbei auf die Marietta, die ebenfalls vor Anker lag. Manchmal vermisste er Sorcor. Es wäre ganz bequem gewesen, wenn er ihn bei seinem heutigen Vorhaben dabeigehabt hätte. Trotzdem war es besser, ein Geheimnis allein zu wahren. Er rief sich abrupt ins Gedächtnis, dass er deshalb an Deck gekommen war. »In dem Punkt würde ich mit ihm übereinstimmen. Wenn Ihr mich jetzt entschuldigt, Mylady, ich muss heute Schwierigkeiten aus dem Weg gehen. Denkt an mich, bis ich wiederkomme.«
»Das werde ich.« Sie war offensichtlich verwirrt. Er humpelte davon, und seine Krücke und sein Holzbein verursachten einen merkwürdigen Rhythmus auf Deck. Er bedeutete Ankle, ihm zu folgen. Sie kam, langsam und umständlich, aber sie kam. Als er die Gig des Kapitäns erreichte, sagte er ihr: »Warte hier. Ich fahre mit dir hinaus.« Er unterstrich seine Worte mit Gesten, um sicherzugehen, dass sie ihn verstand. Sie wirkte zwar beunruhigt, setzte sich aber gehorsam auf das Deck.
Er ging an dem Seemann vorbei, der Ankerwache hatte, und grüßte ihn mit einem Nicken. Der Mann erwiderte das Nicken, sagte aber nichts. Kapitän Kennit hatte auf seinem Schiff immer das getan, was er wollte. Er spürte, dass die Mannschaft zuversichtlicher
Weitere Kostenlose Bücher